Zeitlos
unterschätzen durfte. Bei seiner Tätigkeit als Reporter kam ihm seine Masche sehr oft zu Hilfe. Außerdem roch er meistens nach Pfefferminz, um seinen übermäßigen Wodka-Konsum zu kaschieren. Alle, die ihn kannten, wussten um sein Problem, tolerierten es aber. Es gehörte einfach zu ihm, war Teil seiner schrillen Persönlichkeit.
Nele legte ihre Schutzbrille ab und Handschuhe und Kittel beiseite. »Das passt jetzt ganz gut, bin gerade mit meinen Proben fertig geworden. Dich so anzuschleichen, da muss man ja erschrecken.«
»Nachdem ich gesehen habe, wie feurig du reagierst, verspreche ich dir: Ich tu’s immer wieder!« Wiehern.
Als sie mit ihren Tabletts einen Tisch im Hintergrund der Mensa ansteuerten, kamen sie an dem Tisch von Markus und Simon Büttner vorbei. Aufgeregt sprachen die beiden aufeinander ein. Es schien fast so, als wollte Markus seinen Freund beschwichtigen oder von irgendetwas überzeugen. Die Flecken in Simons Gesicht waren noch um ein Beträchtliches deutlicher als vorhin. Auch Markus war in Fahrt, nahm seine Assistentin deshalb überhaupt nicht wahr.
»Habt ihr Streit, dein Chef und du?«
»Nein, aber wenn der mit seinem Kumpel zusammensitzt, dann blenden sie ihre Umwelt einfach aus. Es wird immer schlimmer. Männer eben!« Jens sprang direkt darauf an. »Ja genau, alles Schweine, diese Kerle! Ich ziehe Frauen deshalb auch vor, da hätten wir ja eine gemeinsame Vorliebe!« Wiehern.
Er wischte sich eine vorwitzige Pomade-Strähne aus der Stirn. Ihr gefiel das Thema nicht, sie hütete sich davor, innerhalb der Uni ihren Neigungen nachzugeben. Getuschel wollte sie nicht provozieren, das würde eines Tages garantiert ihrer Karriere schaden. Sie war deswegen auf der Hut.
»Ich mag solche Sprüche nicht, schon gar nicht hier an meinem Arbeitsplatz. Entweder du hältst dich dran oder das Gespräch ist sofort beendet!«
»Reg dich ab, war ja nur ein kleines Scherzchen!« Er feixte. Dann begann er über Belangloses zu reden. Er näherte sich seinen Themen immer wie ein Wolf der Schafherde: Erst in sicherer Entfernung umrunden, die Lage einschätzen, dann blitzschnell zupacken. Man musste bei ihm auf der Hut sein. Nele hatte sich so gesetzt, dass sie den Tisch ihres Chefs unauffällig im Blick behielt. Immer wieder sah sie über Jens' Schulter hinweg in Richtung der beiden Männer. »…ist das auf eurem Rechner auch so?«
»Ähem, entschuldige mein Lieber, ich war abgelenkt, habe nicht richtig hingehört. Was soll mit unserem Rechner sein?«
»Ich komme nicht auf die Suchmaschinenseite, habt ihr das auch?« Jetzt war Nele wieder ganz bei der Sache. »Das hatte ich gestern, dass ich nicht rein kam. Ich nahm an, das läge an meinem neuen Smartphone. Heute habe ich das noch nicht probiert.«
»Seit gestern schon? Das habe ich noch nie erlebt, dass die so lange nicht zu erreichen sind.«
»Was soll's, dann nimmst du eben eine andere Suchmaschine, gibt ja genug.« Das weitere Gespräch wurde belanglos und ihr Blick wanderte erneut über Jens knittrige Trenchcoat-Schulter. Aber der Tisch an dem die beiden Männer eben noch gesessen hatten, war leer, nur die Essentabletts standen unangerührt darauf. Nele schaute sich suchend um, doch keine Spur von ihnen.
»Was hast du denn, suchst du wen?«
»Äh, nichts! Ich muss kurz raus, komme gleich wieder!« Nele wusste nicht, was sie in eben diesem Moment veranlasste, so zu handeln. Von einem merkwürdigen Instinkt getrieben, ging sie nach draußen vor die Tür. Suchend sah sie sich um und bekam gerade noch mit, wie Simon, der von Markus vergeblich am Ärmel seines Tweedjacketts festgehalten wurde, sich zornig los riss und in Richtung Parkplatz davon eilte. Nanu? Das hatte sie ja noch nie erlebt, dass die beiden sich stritten. Völlig ungewöhnlich!
Ärgerlich und aufgebracht wendete Markus sich ab, um ins Haus zurückzugehen. Schnell trat Nele hinter den Stockwerkwegweiser des Hauses, der neben der Tür stand und sie weitgehend verdeckte. Sie hörte die Tür auf- und wieder zuklappen, und wollte schon hinter dem Schild hervortreten. Doch offensichtlich hatte Markus es sich gerade anders überlegt, und statt zu seinem Essen zurückzukehren, marschierte er nun mit großen Schritten in Richtung Labor.
»Dachte schon, du hättest dich auf französisch verabschiedet! Kenn ich schon, nützt aber nix bei mir. Na, schwache Blase?« Wiehern. Nele zog es vor, nicht zu antworten, sondern abzuwarten. Jens nahm seine verbale Umkreisung
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