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Zeitspringer

Zeitspringer

Titel: Zeitspringer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Man kann sich vorstellen, daß es im Himmel ein Telefonbuch gibt, aber es müßte gigantisch sein, weil es den vollständigen Namen und die Adresse jedes einzelnen Elektrons im Universum enthalten müßte. In der Hölle könnte es aber keines geben, denn in der Hölle werden die Insassen wie im Gefängnis oder beim Militär nicht nach dem Namen, sondern nach einer Nummer erfaßt. Sie haben keine Nummern, sie sind Nummern.
    W. K. AUDEN,
»INFERNAL SCIENCE«
    Daß die Zeit eine Strecke sei, der man entlang reiset, ist, genau genommen, ein ziemlich komplizierter Begriff; doch daß dies die Art sei, wie wir uns die Zeit der Gewohnheit nach vorstellen, ist jedermanns Meinung, sowohl der Gebildeten wie – was kurioser ist – der Ungebildeten… Wie sind wir zu dieser erstaunlichen Erkenntnis gelangt?
    J. W. DÜNNE,
»AN EXPERIMENT WITH TIME«
1
    Die überfüllte Welt sei schön, so hieß es. Die kristallinen Stadttürme, terrassiert übereinander, die rhythmischen Schwellungen einer andrängenden Menge an einem Schnellbootdock, der Tanz des Sonnenlichts auf einer Million schillernder Röcke, versammelt auf einem der großen Plätze – in solchen Dingen entfalte sich Schönheit, erklärten die Ästheten.
    Quellen war kein Ästhet. Er war ein kleiner Bürokrat, ein bescheidener Beamter von angemessener Intelligenz und normalen Neigungen. Er betrachtete die Welt, wie sie sich ihm A. D. 2490 darstellte, und fand sie teuflisch. Quellen war unfähig, den verwickelten inneren Tanz zu vollführen, nach welchem grauenhafte Überfüllung als moderne Schönheit wegerklärt werden konnte. Er haßte sie. Wäre er Stufe Eins oder auch nur Stufe Zwei gewesen, hätte Quellen sich vielleicht in einer besseren Lage befunden, die neue Ästhetik zu schätzen, weil dann von ihm nicht verlangt worden wäre, mittendrin zu leben. Aber Quellen war Stufe Sieben. Die Welt sieht für jemand auf Stufe Sieben nicht genauso aus wie für jemand auf Stufe Zwei.
    Trotzdem ging es Quellen, nahm man alles nur in allem, gar nicht so schlecht. Er hatte seine Bequemlichkeiten. Wider das Gesetz, freilich, erlangt durch Bestechung und Überredungskunst. Was Quellen getan hatte, war, streng genommen, schändlich, denn er hatte Besitz ergriffen von Dingen, auf die er keinen Anspruch hatte. Er hatte einen privaten Winkel der Welt eingesteckt, gerade so, als sei er Mitglied der Hohen Regierung – also von Stufe Eins oder Stufe Zwei. Da Quellen nichts von der Verantwortung der Hohen Regierung zu tragen hatte, gebührte ihm auch keines der Vorrechte.
    Aber genommen hatte er sie sich. Es war verbrecherisch, ein Verrat am Ganzen. Aber irgendwo hat jeder Anspruch auf einen entscheidenden Charakterfehler. Wie jeder andere hatte Quellen mit hochfliegenden Träumen von Rechtschaffenheit angefangen. Wie fast jeder andere hatte er gelernt, sie aufzugeben.
    Pöng.
    Das war die Warnglocke. Irgend jemand zu Hause im elenden Gewirr von Appalachia wollte ihn sprechen. Quellen achtete nicht darauf. Er war in einer friedlichen Stimmung und hatte keine Lust, sie zu zerstören.
    Pöng. Pöng. Pöng.
    Es war kein drängendes Geräusch, nur ein aufdringliches, tief tönendes und sanftes, der Klang einer Bronzescheibe, getroffen von einem filzbespannten Hammer. Quellen, der nicht darauf einging, schaukelte unsicher in seinem Pneumosessel weiter und beobachtete die Krokodile, die schläfrig durch das Schlammwasser des Flusses glitten, der unterhalb seiner Veranda vorbeiströmte. Pöng. Pöng. Nach einiger Zeit verstummte die Glocke. Er blieb in wohliger Untätigkeit sitzen, spürte um sich den warmen Geruch grünen Wachstums und hörte die summenden Insektengeräusche in der Luft.
    Das war das einzige an Eden, das Quellen nicht gefiel, das unaufhörliche Summen der häßlichen Insekten, die durch die stille, feucht-schwüle Luft fegten. In einer Beziehung stellten sie eine Invasion dar; sie waren für ihn Symbole des Lebens, das er bis zum Vorrücken auf Stufe Sieben geführt hatte. Damals war der Lärm das unaufhörliche Gesumme von Menschen gewesen, Menschen, die in einem riesigen Bienenkorb von Großstadt schwärmten, und Quellen verabscheute das. In Appalachia gab es natürlich keine richtigen Insekten. Nur dieses symbolische Summen.
    Er stand auf, trat ans Geländer und blickte aufs Wasser hinaus. Er war ein Mann knapp vor den mittleren Lebensjahren, knapp über Mittelgröße, schlanker als früher einmal, mit widerspenstigen braunen Haaren, einer breiten, schweißbenetzten Stirn

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