Zerrissen
aus meinen blauen Augen heraus an. Dabei versuche ich die aufkeimenden Erinnerungen zu verdrängen, die tief in meiner Seele schmerzen.
Sein Stöhnen hallt in meinem Kopf wider und ich presse die Zähne fest aufeinander. Ich zittere. Ist es Angst?
Meine eigenen Empfindungen sind mir so fremd. Wie kann man verstehen, was passiert ist, wenn man sich nur an die schlimmsten Momente erinnert, aber nicht, wie es dazu kam – wo man hingehört und welches Leben man sonst genießt? Vielleicht ist es aber auch ein Segen? Ich kann mich an keinen Freund erinnern, der sonst an meiner Seite ist und dessen Berührungen ich vielleicht nicht mehr ertragen würde. Es gibt keine Familienmitglieder, die mich mit sorgenvollen Blicken ansehen können. So bleibt mir das Leid anderer zumindest erspart. Es reicht, dass ich selbst an nichts anderes mehr denken kann.
Ich erinnere mich an die Blicke, die er mir zuwarf, während er mich vergewaltigte. Diese Gier, die seine Augen funkeln ließ. Immer wieder höre ich das Echo: „Du bist so schön.“
„Du fühlst dich gut an.“
Mir kommt ein Schrei über die Lippen. Ich zucke unter den Berührungen zusammen, keuche heftig vor Schmerz, weil ich das Gefühl habe, das er jetzt gerade wieder über mir liegt. Ängstlich beiße ich auf meiner Lippe herum, bemerke erst im letzten Augenblick, dass der Kerl neben mir auf die Knie gegangen ist.
„Ganz ruhig.“, sagt er.
In meinem Kopf setzt sich ‚… ich bin ganz vorsichtig …‘ hinzu. Ich schreie noch einmal und schlage nach ihm, habe nun tatsächlich die Kraft dazu, meine schmerzenden Arme zu bewegen. Ich hole aus, aber er reagiert zu schnell und blockt den Schlag ab. Auch den zweiten Versuch wehrt er ab. Beim dritten Mal geht der Schlag ins Leere.
Er ist aufgestanden und weicht zurück. Langsam hebt er die Arme, ich durchbohre ihn mit meinem finsteren Blick. Dass ich in Wirklichkeit wie ein ängstliches Reh aussehe, ahne ich bereits im selben Augenblick. Meine Panik kann ich nicht ausreichend unterdrücken.
Ich flehe. Ohne es wirklich zu wollen.
„Geh …“
Ich will das nicht. Er soll bleiben und bestraft werden für all die Grausamkeiten!
Heftig beginne ich zu würgen und wende mich zur Seite ab, übergebe mich geräuschvoll und beobachte danach, wie die helle Flüssigkeit langsam in den Erdboden sickert. Meine letzte Mahlzeit muss schon eine ganze Weile her sein, denn ich sehe nur die Magensäure, aber keine halbverdauten Essensreste.
Während ich so vor mich hinstarre, taucht vor meinen Augen ein Steinboden auf. Ich spüre, wie er mich dagegen presst und raunt: „Lass uns ein wenig spielen!“
Die Gedanken daran bereiten mir Schmerzen und ich krümme mich zusammen, kann mich nicht mehr beherrschen und beginne laut zu weinen.
Wie soll ich das überstehen? Schon jetzt treiben mich die Erinnerungen in den Wahnsinn. Kann ich das überhaupt alles von mir weghalten, oder werde ich elendig daran zu Grunde gehen? Wenigstens hoffe ich darauf, nicht in einem ewigen Kreis der Wiedergeburten gefangen zu sein, sondern endgültig im erlösenden Nirwana zu landen. Ich weiß nicht, woran ich glauben soll. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, genauso wenig bin ich mir im Klaren darüber, wie das Leben nach dem Tod aussieht. Aber eins weiß ich: wenn ich sterbe, dann bitte nur einmal. Doch etwas ganz anderes bleibt zentral in meinen Gedanken stehen: solche Schmerzen, solches Leid, wie ich in diesem Moment empfinde, möchte ich auch nie wieder spüren. Am liebsten würde ich sie sofort abstellen. Ich verkrampfe meine Finger in den Haaren, reiße mir mehrere Büschel aus, weil ich es nicht mehr ertrage. Die körperlichen Schmerzen sind das Geringste. Aber mein schweres Herz, der Druck auf meiner Brust - und vor allem der Kloß im Hals - schnüren mir die Luft ab. Ich fange an zu keuchen, versuche tief durchzuatmen, aber ich kann nur stoßweise Luft holen, Panik droht mich zu verschlingen und als ich dann wieder Hände auf den Schultern spüre, schlage ich nach ihnen.
„Beruhigen Sie sich!“, dringt eine Frauenstimme zu mir durch.
Ich höre, wie sie tief ein- und wieder ausatmet. Sie animiert mich, es ihr nachzumachen. Genau das versuche ich dann, auch wenn ich der Meinung bin, kläglich zu versagen.
Während sie beruhigende Worte murmelt und mir vorsichtig über die Schulter streicht, merke ich tatsächlich, wie das Gefühl zu ersticken von mir abfällt. Schlapp öffne ich die Augen und sehe die Sanitäterin an.
„Er …“,
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