Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
erinnert haben. Ich gebe mein Bestes.« Ich grinse, ich bin so glücklich, dass ich sogar einem Lorder-Spion mein Lächeln schenke. Dass Mrs Ali nicht mehr mein Schatten in der Schule sein wird, ist ein unerwartetes Geschenk.
Ihre Gesichtszüge schwanken zwischen Verwirrung und Wut. War meine Antwort übertrieben?
»Dann tu das«, sagt sie mit eiskalter Stimme. Offenbar gefällt es ihr besser, wenn ich in ihrer Gegenwart zittere.
Zu dumm, dass Rain nicht zittert.
Rot, Gold, Orange – die Eiche in unserem Vorgarten hat das Gras mit bunten Blättern überzogen und ich hole mir einen Rechen aus dem Schuppen.
Ich habe einen Namen.
Mit dem Rechen gehe ich auf die Blätter los, schiebe sie erst zu einem Haufen zusammen, um dagegenzutreten und wieder von vorn anzufangen.
Ich habe einen Namen! Einen, den ich selbst ausgewählt habe; das wollte ich sein. Die Lorder haben versucht, ihn mir zu nehmen, aber das ist ihnen nicht gelungen.
Ein Auto, das ich noch nie gesehen habe, hält auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein Junge, etwa in meinem Alter oder ein wenig älter, steigt aus. Er trägt eine weite Jeans und ein zerknittertes T-Shirt, als wäre er stundenlang gefahren oder als hätte er darin geschlafen – hoffentlich nicht beides gleichzeitig. Aber der Schlabber-Look steht ihm. Er holt eine Kiste aus dem Kofferraum und trägt sie ins Haus. Als er wieder zurückkommt, sieht er mich und winkt. Ich winke zurück. Kyla würde das nicht tun, sie würde wahrscheinlich einfach nur rot anlaufen. Doch Rain hat Mut. Dann trägt er noch eine Kiste rein.
Auf der anderen Seite des Autos wird er immer kleiner, und tut so, als würde er eine Treppe runtergehen. Er blickt sich um, ob ich ihm auch zusehe. Ich verdrehe die Augen zum Himmel. Er macht noch ein paar solcher Spielchen, während ich die Blätter auf eine Schubkarre lade, sie hinter das Haus fahre und reingehe.
»Danke, dass du dich um das Laub gekümmert hast«, sagt Mum.
»Der Garten sah chaotisch aus.«
»Kein Ding. Ich hatte Lust, irgendwas zu machen.«
»Dich zu beschäftigen?«
Ich nicke und ermahne mich, etwas weniger unternehmungslustig zu sein, ehe sie mich wegen Stimmungsschwankungen zur Kontrolle ins Krankenhaus bringt. Dieser Gedanke beunruhigt mich tatsächlich ziemlich und mein Lächeln fällt in sich zusammen.
Mum legt mir eine Hand auf die Schulter und drückt mich. »Wir essen, sobald …«
Die Tür geht auf. »Bin da!«, ruft Amy.
Kurz darauf sitzen wir am Tisch und hören uns einen ausführlichen Bericht über Amys ersten Tag in der Arztpraxis an.
Wie sich herausstellt, ist die Arbeit dort eine unglaubliche Quelle für Dorftratsch. Bald wissen wir, wer schwanger ist, wer nach zu viel Whiskey die Treppe runtergefallen ist und dass der neue Junge auf der anderen Straßenseite Cameron ist, der aus dem Norden Englands stammt und aus irgendwelchen Gründen bei seiner Tante und seinem Onkel wohnt.
»Es ist super, dort zu arbeiten. Ich kann es kaum erwarten, bis ich Krankenschwester bin«, sagt Amy ungefähr zum zehnten Mal.
»Hast du irgendwelche ekligen Krankheiten zu Gesicht bekommen?«, neckt Mum sie.
»Oder Verletzungen?«, füge ich hinzu.
»Oh! Ja, das habe ich ganz vergessen zu erzählen. Da kommt ihr nie drauf!«
»Was?«, frage ich.
»Es ist heute Morgen passiert, also hab ich es nicht gesehen, aber ALLES darüber gehört.«
»Na, dann erzähl mal!«, sagt Mum.
»Man hat einen Mann mit furchtbaren Verletzungen gefunden.«
»Oje«, meint Mum. »Was ist denn passiert?«
Mir schwant nichts Gutes.
»Das weiß keiner. Man hat ihn im Wald gefunden, am Ende des Dorfes, wo ihn jemand halb tot geprügelt haben muss. Er hatte Kopfverletzungen und litt an Unterkühlung. Sie vermuten, dass er schon seit ein paar Tagen da draußen lag. Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt.«
»Hat er gesagt, wer ihn angegriffen hat?«, frage ich und versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu halten und normal zu wirken.
»Nein, und er sagt vielleicht nie wieder was. Als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, lag er im Koma.«
»Wer ist es denn?«, fragt Mum, aber ich weiß es, ehe Amy es ausspricht.
»Wayne Best. Du weißt schon, der komische Maurer, der die Mauern für die Schrebergärten hochgezogen hat.«
Mum verbietet uns, in den Wald zu gehen oder uns von den Wegen zu entfernen. Sie fürchtet, irgendein Verrückter könnte frei herumlaufen.
Aber ich bin dieser Verrückte.
»Kann ich nach oben gehen?«, frage ich, weil mir plötzlich
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