Ziemlich beste Freunde
ist.
Ich wollte das Unglück aber auch nicht »realistisch« abbilden, mit jener Mischung aus Verbitterung und besten Absichten, die an Herablassung grenzt. Noch weniger wollte ich Zweckoptimismus verbreiten, diese lächerliche Lüge.
Die zwanzig Jahre Nähe zur Welt der Ausgeschlossenen haben meinen Blick auf die Gesellschaft, den Blick für ihre Missstände geschärft. Einige Lösungsansätze, die sich mir im Lauf der Jahre aufgedrängt haben, möchte ich gern weitergeben.
Dank meines Schutzteufels – alias Abdel – habe ich den Humor wiedergefunden, der mir vor den Schicksalsschlägen eigen war. Der Film Ziemlich beste Freunde spielt sich in einer Tonlage der Leichtigkeit und der Lachsalven ab; doch ein gewisser, unbesiegbarer Ernst ist mir geblieben. François Cluzet hat das sehr schön wiedergegeben.
Éric und Olivier, die Regisseure, ihr Produzent Nicolas Duval Adassovsky und mein Lektor Frédéric Boyer haben dem Verein »Simon de Cyrène 5 «, dessen Vorsitzender ich lange Zeit war und der sich zum Ziel gesetzt hat, gemeinsamen Lebensraum für erwachsene Behinderte und ihre Freunde oder Angehörigen zu schaffen, einen großzügigen Prozentsatz der Tantiemen eingeräumt. Dafür sei ihnen herzlich gedankt.
Ich danke auch Émeline Gabaut, Manel Halib und unserer Tochter Sabah, die mir ermöglicht haben, die Feder »wieder aufzunehmen«, und ohne die dieses Buch niemals entstanden wäre. Des Weiteren geht mein Dank an Soune Wade, Michel Orcel, Michel-Henri Bocara, Yves und Chantal Ballu, Max und Marie-Odile Lechevalier und Thierry Verley für die kluge und umsichtige Lektüre des Manuskripts.
1 Ziemlich beste Freunde, im Original Intouchables (2011), von Éric Toledano und Olivier Nakache, mit François Cluzet und Omar Sy in den Hauptrollen.
2 À la vie, à la mort (2002).
3 Le second souffle (dt. »Der zweite Atem«), Bayard, 2001.
4 Nervenschmerzen: Ungefähr ein Drittel der Tetraplegiker, also der Querschnittsgelähmten, die an allen vier Gliedmaßen gelähmt sind, leidet an Störungen des Nervensystems, die sich je nach Person, ihrer Konstitution und den klimatischen Bedingungen in stärkerem oder schwächerem Phantomnervenbrennen äußern. Ich habe das große Los gezogen: Seit fast zwanzig Jahren pendele ich ohne Unterbrechung auf einer Schmerzskala von 6 bis 9,5/10. Bei 10 ist man nicht mehr von dieser Welt.
5 Sie können Ihre Spende an Simon de Cyrène richten: 12 rue de Martignac, 75 007 Paris. Tel. 0033–1–82 83 52 33. www.simondecyrene.org
DER ZWEITE ATEM
Befreite Erinnerungen
Soll ich vom heutigen tristen Tag aus wehmütig in die Vergangenheit zurückblicken oder soll ich über eine Zukunft ohne Hoffnung klagen? Ich kann mich weder nach der Vergangenheit sehnen noch in die Zukunft flüchten. Alles, was ich bin, bin ich im Augenblick.
Der Tag meines Unfalls könnte die Bruchlinie meiner Knochen, meiner Atemzüge sein. Am 23. Juni 1993 bin ich in die Querschnittslähmung gestürzt.
Am 3. Mai 1996 , am Tag des heiligen Philippus, ist Béatrice gestorben.
Ich habe keine Vergangenheit mehr, keine Zukunft, ich bin nur noch gegenwärtiger Schmerz. Béatrice hat keine Vergangenheit und keine Zukunft mehr, sie ist gegenwärtige Trauer. Und doch gibt es eine Zukunft, die unserer Kinder, Laetitia und Robert-Jean.
Bis zu meinem Unfall stand ich mitten im Leben, ich wollte meine Spuren hinterlassen im Lauf der Welt, etwas erschaffen.
Nach dem Unfall fallen die Gedanken über mich her. Nach Béatrices Tod der Schmerz.
Aus diesen Trümmern sind mir undurchdringliche schwarze Erinnerungen ins Gedächtnis zurückgekehrt. In meinen durchwachten Nächten haben die brennenden Schmerzen der Behinderung und der Trauer diese Bilder verwischt.
Tief in meinem Inneren habe ich die Spiegelungen der Abwesenden wiedergefunden. Mein Schweigen hat Momente vergessenen Glücks zurück an die Oberfläche gerufen. Mein Leben läuft von selbst als eine Bilderfolge ab.
In den ersten Monaten nach dem Unfall konnte ich wegen eines Luftröhrenschnitts nicht sprechen. Ein Freund stellte mir einen Computerbildschirm auf, den er an eine Steuerung unter meinem Kinn anschloss. Das Alphabet wanderte über den Bildschirm; ich hielt den Cursor an, ein Buchstabe erschien. Ganz langsam bildeten die Buchstaben ein Wort, einen Satz, eine halbe Seite. Die Wahl der Worte und die ungeheure Anstrengung waren köstlich; ich durfte keinen Fehler machen. Das Gewicht jedes
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