Ziemlich beste Freunde
Dame. Ein anderes Mal sind es die jadegrünen Augen einer Berberfrau, an denen mein intensiver Blick hängen bleibt, bis die Schritte der Gewohnheit den Kontakt unterbrechen. An einem anderen Ort wechsle ich zusammenhanglose Worte mit einer trübsinnigen Rothaarigen; sie entfernt sich mit einem Lächeln. Der Zauber einer Frau verschafft mir Linderung.
*
Heute Morgen bin ich unbeschwert. Ich habe Lust aufzubrechen, bin ganz neu. Die schöne Koutoubia-Moschee überragt mich. Staubwolken wirbeln auf. Der Klammergriff des Kummers lockert sich. Ich nehme am Gebet des Imam teil. Die Gläubigen knien auf der Straße, so viele sind es. Die Bettlerinnen halten die Hand auf, jede mit ihrer eigenen Beschwörungsformel. Mit dem Blick folge ich dem Schuhputzer, dem das Klimpern seiner Schachtel vorauseilt. Eine Menschenmenge versammelt sich um einen faltigen, weißbärtigen Märchenerzähler. Hin und wieder hebt ein Zuhörer mit einem Schrei die Hand mit ein paar Münzen darin, das ständig wiederholte Ritual des Versprechens hält sie gebannt an Ort und Stelle. Ein Dutzend blinder Alter beten, die Augen zum Himmel verdreht, im Chor ihre Bettellitanei herunter. In Trance verleugnen die Gnawa-Musiker voller Inbrunst ihre ehemalige Knechtschaft, die Bommel ihrer taguia 27 tanzt rebellisch in der Arrhythmie. Die Schlangenbeschwörer bewegen sich im gleichen Takt wie sie.
Die Spatzen ziehen zusammen mit den Tauben ihre Kreise in den Staubwolken und dem Rauch der Grillbuden. Die Wasserverkäufer lassen den Strahl aus großer Höhe schießen und die Glöckchen an ihren breitkrempigen roten Hüten klingeln in der flirrenden Luft. In dieser anonymen Menge fühle ich mich wohl. In diesem Tanz bin ich ohne Reue. Sich am Moment festhalten, um zur komponierten Unordnung zu gehören, sich an diesen geschichtslosen Blicken beteiligen, sich schwerelos im Seegang treiben lassen – im Einklang mit all dieser Gleichgültigkeit. Man muss die Zeit zerstückeln; muss die jetzige Sekunde hinter sich lassen, um ohne Reue oder Erwartung in die neue einzutauchen; muss sich an der ewigen Wiederholung ergötzen. Endlich lebe ich ohne Bewegung, in einer fremden Maßeinheit fixiert; ich habe alle Erinnerungen gelöscht, bin niemals gewesen, werde niemals wieder sein. Ich bin – verdichtet in Unmittelbarkeit.
Eine Nofretete schwebt über den Platz, die Göttin des Unmöglichen. Die Frauen verschleiern sich, die Männer weinen.
*
Hinter meinen Augenlidern ist zum ersten Mal ein Licht in meinem jungfräulichen Gedächtnis erschienen. Lange hatte ich den Blick starr auf die Wüste und die warmen Dünen gerichtet. In diese neue Trägheit bin ich ganz und gar eingetaucht. Und habe gesehen, habe sie gesehen. Nicht Sie.
*
»Clara,
ein Umschlag mit Ihrer schönen Handschrift hat mich erreicht. Seien Sie mir nicht mehr böse.«
27 Taguia: Kopfbedeckung der Gnawa, einer religiösen Bruderschaft aus dem Süden des Maghreb; Nachfahren schwarzafrikanischer Sklaven. Sie praktizieren einen synkretistischen Besessenheitsritus.
Lalla Khadija
Ich habe sie gesehen, als der Wolkenbruch die Menge zerstreute. Sie schwebt zwischen den verwaisten Kutschen über den Platz. Manchmal übertönt ein Wiehern der aufgeschreckten Reittiere den Donner. Die Palmenallee verneigt sich, als sie unbekümmert vorübergeht. Sie scheint zu gleiten, schlank und völlig unbeeindruckt von dem Unwetter. Am Palais Royal klappern die Wimpel. Ein Sonnenstrahl überflutet sie. Ein Mädchen hat die Hand ausgestreckt und beide sind verschwunden.
Einige wenige wagen sich zurück auf den Platz; ein Blinder nimmt seine Litanei wieder auf. Ein Wasserverkäufer verflucht den Regenguss. Sicherlich habe ich den unwahrscheinlichen Augenblick nur geträumt. Die Anmut hat sich in die Gegenwart gestohlen. Seitdem warte ich auf ihre Rückkehr.
Fieber und Nervenbrennen löschen mich aus. Ein Freund, den mein zurückgezogenes Schweigen beunruhigt, lädt mich in seinen Riad ein. Ich liege neben dem Springbrunnen im Innenhof. Lange kühle Finger haben mein Gesicht gestreichelt; ein Singsang trägt mich fort. Die Schöne mit dem Kind kam die Allee der scheuenden Pferde hoch. Ihr Lächeln ist endlich enthüllt, sie heißt Khadija, ihre Augen sind schwarz. Die kleine Hand ihrer Tochter Sabah liegt auf meiner Hand. Ich lächle sie an. Guten Tag, ich bin dein Patenonkel.
Sie ist eine Tochter Ägyptens und des Sudan, ihr geneigtes Profil hat sie von den antiken Basreliefs geerbt. Sabah
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