Ziemlich beste Freunde
Familie auf der Insel vertritt, erregt sich über die Inhaftierung des Großvaters. Eine Delegation reist, bis zu den Zähnen bewaffnet, nach Paris. In der Santé bittet der Patriarch Philippe meinen Großvater um eine Liste der Leute, die sie beseitigen sollen. Großvater rät ihnen jedoch, ohne Skandal wieder abzureisen. Der alte Philippe ist enttäuscht. Auf dem Weg nach draußen fragt er die Herzogin besorgt: »Was ist mit ihm? Ist der Herzog müde?«
Nach seiner Entlassung kehrt Großvater der Politik den Rücken und zieht sich auf seine Güter zurück: das herrschaftliche Haus in Paris, das Schloss in der Normandie, die Berge Korsikas und den Palazzo Dario in Venedig. An seinem Hof versammelt er viele hochkarätige Gegner unterschiedlichster politischer Systeme. Er stirbt, als ich fünfzehn Jahre alt bin. Ich kann mich nicht erinnern, je einem seiner legendären Gedankenflüge beigewohnt zu haben. Für mich gehören sie einer anderen Zeit an. Dafür erinnere ich mich an eine Abendgesellschaft in Paris, im Ballsaal, wo es vor Diamanten funkelte.
Ich bin noch klein. Mein Kopf ist ungefähr auf Höhe der Allerwertesten dieser feinen Gesellschaft. Zu meiner Verblüffung entdecke ich die Hand meines Großvaters auf einem wohlgeformten Hinterteil, das nicht seiner Gattin gehört.
Die Geschichte der Familie de Vogüé reicht zurück bis in die graueste Vorzeit. Wie Großvater Pozzo zu Großvater Vogüé sagt (die beiden Patriarchen können sich nicht ausstehen): »Unsere Adelstitel sind wenigstens noch so jung, dass wir ihre Echtheit nachweisen können!« Robert-Jean de Vogüé verzieht keine Miene.
Großvater Vogüé ist Berufsoffizier und hat beide Weltkriege miterlebt: den ersten im Alter von siebzehn Jahren, den zweiten als politischer Gefangener in Ziegenhain, als Nacht-und-Nebel-Häftling 9 . Er ist ein tapferer Mann mit tief verankerten Überzeugungen. Als treuer Spross eines Rittergeschlechts betrachtet er die ererbten Privilegien als Gegenleistung der Gesellschaft für die von seiner Familie im Lauf der Zeit erbrachten Dienste: Im Mittelalter hat sie das Land verteidigt, im 20. Jahrhundert für den wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt. Er heiratet das hübscheste Mädchen weit und breit, eine Erbin von Moët et Chandon. In den zwanziger Jahren hängt er die Offizierslaufbahn an den Nagel, wird Chef des Champagnerunternehmens und geht auf Expansionskurs, bis er sich 1973 zur Ruhe setzt. Der kleine Familienbetrieb ist unter seiner Leitung zu einem Imperium angewachsen.
Seine großartige Lebensleistung verdankt er seiner Charakterstärke und seinen Überzeugungen. Gegen Ende seines Lebens schreibt er diese nieder und veröffentlicht sie in einem schmalen Bändchen mit dem Titel: Alerte aux patrons 10 ( Unternehmer, aufgepasst! ). Dieses Buch ist noch heute meine Lieblingslektüre.
Wie nicht anders zu erwarten, wird Robert-Jean de Vogüé von Unternehmerkollegen scharf kritisiert, ja sogar als »roter Marquis« bezeichnet. Darauf entgegnet er lapidar: »Ich bin Graf und kein Marquis.« Die politische Couleur leugnet er nicht. Sein Lebenswerk wird von den Finanzjongleuren, die seine Nachfolge antreten, zerstört. Er wird immer mein Vorbild bleiben, unser Sohn trägt den Namen Robert-Jean.
Mein Vater Charles-André ist das älteste Kind von Joe Pozzo di Borgo. Er will sich seine Sporen im Berufsleben verdienen. Der erste Pozzo, der wirklich arbeitet – seine Art, sich gegen den Vater aufzulehnen. Er fängt als gewöhnlicher Arbeiter auf den Ölfeldern Nordafrikas an und macht dank seines unermüdlichen Eifers, seiner Tatkraft und Effizienz schnell Karriere. Sein Beruf bringt zahlreiche Umzüge in unterschiedliche Länder mit sich, in die ich ihn von frühester Kindheit an begleite. Einige Jahre nach dem Tod meines Großvaters zieht mein Vater sich aus dem Berufsleben zurück – er ist Geschäftsführer eines Mineralölkonzerns –, um sich um die Familienangelegenheiten zu kümmern.
Meine Mutter bringt innerhalb eines Jahres drei Kinder zur Welt: erst Reynier, dann, elf Monate später, Alain und mich. Im Lauf des Berufslebens meines Vaters zieht sie fünfzehnmal um und lässt dabei neben den sperrigen Möbeln jedes Mal auch ihre wenigen gerade erst gefundenen Freunde zurück. Da Vater ständig auf Reisen ist, kümmert sich eine Nanny um uns, um Mutter vor unserem kindlichen Übermut zu bewahren. Bereits im gemeinsamen Kinderwagen gewöhne ich mir an, mich auf Alains Schoß zu setzen.
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