Zikadenkönigin
Soße auf. »Es heißt, daß ein Wahrsager in die Stadt gekommen ist. Neue Propheten haben meist großen Zulauf.«
»Das stimmt.« Khayali setzte sich auf. »Sie nennen ihn ›den Dulder‹. Angeblich sagt er das Schicksal der Menschen auf höchst fremdländische und unterhaltsame Weise vorher.«
»Ich würde niemals den Markttips eines Wahrsagers trauen«, meinte Manimenesch. »Wenn Ihr erfahren wollt, was gerade in Mode ist, müßt Ihr die Herzen der Menschen kennen, und dafür braucht Ihr einen guten Dichter.«
Khayali verneigte sich. »Möget Ihr ewig leben!«
Es wurde allmählich dunkel. Haussklaven brachten mit Sesamöl gefüllte Tonlampen und hängten sie an die Balken der Säulenhalle. Andere räumten die Rebhuhnknochen ab und servierten Keule und Kopf eines jungen Lamms. Dazu gab es Kutteln in Zimtsoße.
Als Geste seiner Wertschätzung bot der Gastgeber Watunan die Augen an, und nach dem dreimaligen Höflichkeitszeremoniell der Ablehnung nahm der Karawanenmeister sie vergnügt entgegen.
»Ich selbst halte viel von Wahrsagern«, meinte er kauend. »Sie kennen oft die tiefsten Geheimnisse. Ich spreche jetzt nicht von Magie, sondern eher vom Geschwätz der Abergläubischen. Sklavenmädchen, die sich Sorgen wegen eines kleinen Haushaltsskandals machen, oder kleine Beamte, die ihrer Beförderung entgegenfiebern – diese Dinge geben Aufschluß über die Volksseele und können ungeheuer nützlich sein.«
»Nun, dann sollten wir ihn vielleicht hierherbestellen«, sagte Manimenesch.
»Angeblich ist er von abstoßender Häßlichkeit«, warf Khayali ein. »Man nennt ihn ›den Dulder‹, weil er von einer schlimmen, fremdartigen Krankheit entstellt wird.«
Bagayoko tupfte sich das Kinn elegant mit dem Ärmel ab. »Allmählich weckt Ihr meine Neugier.«
»Also – abgemacht!« Manimenesch klatschte in die Hände. »Holt Sidi, meinen jungen Boten!«
Sidi erschien im Handumdrehen und wischte sich noch im Laufen das Mehl von den Fingern. Er war der halbwüchsige Sohn der Köchin, ein hochgewachsener Schwarzer, der eine gefärbte wollene Dscheballa trug. Seine Wangen waren mit modischen Ritzmustern verziert, und er hatte sich kleine Messingdrähte in das dichte schwarze Kraushaar geflochten. Manimenesch erteilte ihm seine Befehle. Sidi schwang sich über die Brüstung der Säulenhalle ins Freie, rannte durch den Garten hügelab und verschwand jenseits der Tore.
Der Sklavenhändler seufzte. »Das ist eine der Plagen in meinem Beruf. Als ich die Köchin erwarb, war sie ein rankes, geschmeidiges Ding, das mir große Freude bereitete. Inzwischen gilt sie als eine der tüchtigsten Küchenaufseherinnen weit und breit, ihr Preis hat sich um das Zwanzigfache erhöht – und sie ist fett wie ein Nilpferd, obwohl das nichts zur Sache tut. Sie hat von Anfang an behauptet, daß Sidi mein Sohn sei, und da ich sie nicht verkaufen will, muß ich ihr einige Zugeständnisse machen. Ich habe Sidi verwöhnt und ihm die Freiheit geschenkt. Nach meinem Tode werden sich meine legitimen Söhne bitter an ihm rächen.«
Der Karawanenmeister, der den Hintersinn der Rede wohl verstanden hatte, lächelte höflich. »Kann er reiten? Versteht er zu feilschen? Kann er Summen addieren?"
»Oh«, erklärte Manimenesch mit gespielter Lässigkeit, »er beherrscht sogar dieses neumodische Zeug mit den Nullen.«
»Ihr wißt, daß ich bald nach China aufbreche«, sagte Watunan. »Es ist eine harte Reise, die entweder Wohlstand oder den Tod bringt.«
»Sterben muß er ohnehin«, meinte der Sklavenhändler philosophisch. »Ob er Reichtümer erwirbt, liegt in Allahs Hand.«
»Das ist wahr«, pflichtete ihm der Karawanenmeister bei. Er machte unter dem Tisch eine heimliche Geste, die den anderen nicht auffiel. Sein Gastgeber erwiderte sie, und damit war Sidi für die Bruderschaft vorgeschlagen und akzeptiert.
Nun, da auch das letzte Geschäft des Abends seinen Abschluß gefunden hatte, entspannte sich Manimenesch und öffnete den gekochten Lammschädel mit einem kleinen Silberhammer. Sie löffelten das Gehirn aus und machten sich dann über die Kutteln her, die mit Zwiebeln, Kohl, Zimt und Raute gefüllt, mit Koriander, Nelken, Ingwer und Pfeffer gewürzt und Ambra überpudert waren. Die Senfsoße ging aus, und sie ließen neue kommen. Alle aßen nun etwas langsamer; sie hatten sich den Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit genähert.
Danach lehnten sie sich zurück, schoben die Platten mit den halberstarrten Fettresten beiseite und bezeugten eine
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