Zikadenkönigin
kleine Flamme in der Öllampe. Zuerst verfärbte sich das Papier braun, und langsam gewann das Bild die ehrwürdige Tönung eines bereits vergilbten Werkes, das aus der guten alten Zeit stammte, in der alles einfacher gewesen war. Kurz darauf entstand ein schwarzer Fleck, der rasch größer wurde. Eine bläuliche Feuerblume blühte. Yoshitoshi senkte die Röhre, und die Flamme fraß sich langsam durch das Papier. Der Rauch projizierte unstete Schattenmuster auf die Wände.
Der Künstler pustete und beobachtete, wie sein Werk in kirschblütenweißen und zinnoberroten Flammen aufging. Es schmerzte zu sehen, wie es verbrannte, doch gleichzeitig empfand Yoshitoshi eine tiefe Erleichterung. Er genoß die beiden Gefühle, solange es ihm möglich war, und dann ließ er den letzten Papierfetzen in einen Aschenbecher fallen. Dort schwelte er und löste sich auf, wurde zu gestaltlosem flockigen Grau.
»Es hätte sich ohnehin nicht verkauft«, sagte er leise. Geistesabwesend reinigte er die Pinsel, denn er wußte, daß er sie später für die Arbeit brauchte. Und das von Tinte geschwärzte Wasser goß er über die Aschenreste seines Bildes.
Originaltitel: ›Flowers of Edo‹
Copyright© 1987 by Davis Publications. Inc.
(erstmals erschienen in ›Isaac Asimov's Science Fiction
Magazine‹, Mai 1987,
Vorabdruck in ›Hayakawa's Science Fiction Magazine‹)
Copyright © 1988 der deutschen Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München
Deutsche Übersetzung von Andreas Brandhorst
Abendmahl in Audoghast
»Danach gelangt man nach Audoghast, einer großen, dichtbevölkerten Stadt, die sich auf einer Sandebene ausbreitet … Die Bewohner leben in Wohlstand und besitzen große Reichtümer. Zu jeder Tageszeit ist der Marktplatz voll von Leuten; die Menge ist so groß und der Lärm so laut, daß man kaum jemanden versteht, selbst wenn er neben einem sitzt … Prachtvolle Bauten und elegante Wohnhäuser schmücken die Stadt.«
Eine Beschreibung Nordafrikas, Abu Ubayd El Bekn (1040 – 1094 n. Chr.)
Herrliches Audoghast, berühmt unter allen Kulturvölkern, bekannt von Cordoba bis nach Bagdad! Unter dem Abendhimmel der Sahara erstreckte sich die Stadt in ihrem vollen Glänze. Die sinkende Sonne warf ihr rosen- und bernsteinfarbenes Licht über Adobe-Kuppeln, steinerne Paläste, hohe Moscheen aus Lehmziegeln und weite Plätze mit struppigen Dattelpalmen. Die melodischen Stimmen der Marktschreier vermischten sich mit dem fernen glucksenden Lachen der Wüsten-Hyänen.
Vier Männer saßen auf Teppichen in einer gefliesten weißgekalkten Säulenvorhalle, genossen die Abendbrise und schlürften ihren Kaffee. Der Hausherr war Manimenesch, ein liebenswürdiger Sklavenhändler von hoher Bildung. Zu seinen Gästen zählten Ibn Watunan, Herr über viele Karawanen, Khayali, der Dichter und Musiker, sowie Bagayoko, der Arzt, der als kundiger Giftmischer auch bei Hofe im Ansehen stand.
Das Haus von Manimenesch stand auf dem Hügel des Vornehmenviertels; es blickte herab auf einen großen Marktplatz und die Lehmhütten des einfachen Volkes. Meist wehte die Brise so, daß sie den Gestank der Stadt verscheuchte. Und aus dem Innern der Villa drangen köstliche Düfte: Lamm, gedünstet in Tarragona-Sauce, und gebratenes Rebhuhn auf Auberginen und Zitrone. Die vier Männer lagerten bequem um einen niedrigen Intarsientisch, schlürften aromatischen Kaffee aus Porzellantäßchen und betrachteten das lebhafte Kommen und Gehen auf dem Markte.
Das Bild, das sich ihnen bot, lud ein zu erhabenen Gedankenflügen. Manimenesch, der nicht weniger als fünfzehn Bücher sein eigen nannte, war ein bekannter Mäzen der Wissenschaften. Juwelen glänzten an seinen dunklen dicken Fingern, die er behaglich über dem Bauch gefaltet hatte. Er trug ein langes Gewand aus gewalktem roten Samt und ein mit Goldfäden besticktes Käppchen.
Khayali, der junge Dichter, hatte in den Schulen von Timbuktu Architektur und Verskunst studiert. Manimenesch hielt ihn sich als Hausdichter, und die Sonette, Ghasals und Oden, mit denen der Poet seinen Herrn pries, wurden in der ganzen Stadt rezitiert. Nun ruhte er lässig, einen Ellbogen an der bauchigen zweisaitigen Guimbri -Gitarre, die mit Ebenholz-Intarsien verziert und mit Leopardendärmen bespannt war.
Ibn Watunan besaß den verhüllten Blick eines Adlers, und seine Hände waren schwielig von den Zügeln der Kamele. Er trug einen indigoblauen Turban und eine lange gestreifte Dscheballa. Dreißig Jahre hatte
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