Zu Schnell
sagte sie. »Es war alles ganz schrecklich. Ich weiß, dass niemand je verstehen wird, was ich durchgemacht habe und wie es sich anfühlt, wenn man für so etwas verantwortlich ist. Schon der Gedanke, diesen Jungen verletzt zu haben … Wenn er nicht wieder gesund geworden wäre – ich weiß nicht, wie ich das verkraftet hätte. Ehrlich gesagt – ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich je wieder ans Steuer setze.«
»Aber es war doch gar nicht deine Schuld!«, sagte ich.
»Ich weiß, ich weiß.« Sie lächelte. »Aber das spielt dabei keine Rolle. Ich glaube, ich habe einfach nicht mehr genug Selbstvertrauen. Überleg doch nur, wie viele Leute davon betroffen waren. Und wie es sich auf dich ausgewirkt hat.«
»Aber Mam – du hast mir doch nichts getan!«, rief ich, weil es mir gar nicht gefiel, dass meine Mutter sich bei mir für etwas entschuldigte. Sonst sagte ich doch immer zu ihr , dass mir etwas leidtat.
»Doch«, sagte sie. »Ich habe dich im Stich gelassen. Ich war in den Wochen nach dem Unfall nicht richtig deine Mutter, und wir wissen alle, welche Folgen das für dich hatte. Dir hätte so viel zustoßen können, als du ganz allein herumgelaufen bist. Bitte, tu mir das nie wieder an, hörst du?« Sie klang richtig aufgeregt.
»Ich tu’s nie wieder. Versprochen.«
»Gut. Jetzt ist ja alles vorbei. Morgen gehst du in die Schule. Andy Maclean ist wieder zu Hause bei seiner Familie. Alles ist so, wie es sein soll. Ab morgen ist die Welt wieder normal, stimmt’s?«
Ich nickte und lächelte. Genau das hatte ich hören wollen. Sie gab mir einen Gutenachtkuss, dann ging sie zur Tür. »Bleib nicht so lang wach«, sagte sie noch. »Morgen ist nämlich wieder Schule.«
»Ja, klar.«
Sie ging hinaus. Ich blieb noch eine Weile aufrecht im Bett sitzen und fühlte richtig, dass die ganzen Probleme der letzten Wochen endlich von mir abgefallen waren und dass mein altes Leben, das Leben, von dem ich gedacht hatte, es sei für immer vorbei, wieder zu mir zurückkommen würde, wenn ich morgen früh aufwachte. Ich nahm David Copperfield vom Nachttisch. Ich hatte ewig nichts mehr gelesen, aber jetzt ging’s weiter. Im Sommer hatte ich so viel Zeit verplempert – sonst hätte ich das Buch ja längst fertig und ein neues angefangen.
Mein Buchzeichen steckte immer noch zwischen den entsprechenden Seiten in der Mitte, und ich begann zu lesen. Es war das Kapitel, in dem David zu Agnes geht, nachdem er sich am Abend vorher im Theater betrunken hat, und sie sagt, es ist nicht so schlimm, und sie verzeiht ihm, und er sagt zu ihr, sie ist sein guter Engel.
Über John Boyne
John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irland, geboren, wo er auch heute lebt. Er ist der Autor von neun Romanen, darunter ›Der Junge im gestreiften Pyjama‹, der sich weltweit über fünf Millionen Mal verkaufte, zahlreiche internationale Buchpreise gewann (u.a. Nominierung für den British Book Award) und mit großem Erfolg verfilmt wurde. John Boynes Romane wurden in über vierzig Sprachen übersetzt.
Bei Fischer sind von ihm auch die Romane ›Der Junge im gestreiften Pyjama‹, ›Der Schiffsjunge‹ und ›Der Junge mit dem Herz aus Holz‹ lieferbar.
Impressum
www.fischerverlage.de
Deutsche Erstausgabe
Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag,
einem Unternehmen der S. Fischer Verlag GmbH,
Frankfurt am Main, September 2012
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel
›The Dare‹ bei Transworld Publishers,
A Random House Group Company, London,
Black Swan edition
Copyright © John Boyne 2009
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Nach den Regeln der neuen Rechtschreibung
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402005-1
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