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Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anica Schriever
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Hannover. Vorausgesetzt, es wäre einer da gewesen. Ich könnte höchstens in einer Viertelstunde nach Tessin flüchten. Aber nein, ich ziehe das jetzt durch! So.
    Olli hakt sich bei mir unter und zieht den Trolley hinter sich her in Richtung Ausgang. »Du könntest mir einen Gefallen tun.«
    Ich gucke ihn argwöhnisch an. »Was für einen Gefallen?«
    »Wir sind in der Redaktion momentan etwas knapp besetzt. Ein Mitarbeiter liegt seit heute früh mit Sommergrippe flach, und eine andere Kollegin befindet sich im Mutterschaftsurlaub. Wir stehen daher alle unter Zeitdruck. Eigentlich soll ich heute für ein Interview zum Campingplatz fahren, aber gleichzeitig müsste ich zur Goldenen Hochzeit von Lieschen und Heinz Fritsche.«
    »Du nimmst mich auf den Arm.«
    »Das ist mein Ernst, ich schwör’s!«, beteuert Olli. »Könntest du nicht das Interview mit dem Campingplatz-Menschen führen? Du wirst natürlich für den Artikel bezahlt – und hey, du würdest für immer in meiner Schuld stehen«, versucht er, mir die Angelegenheit schmackhaft zu machen.
    Ich runzele die Stirn und verziehe den Mund. »So war das aber nicht geplant, Herr Wegener!«
    Aber Olli sieht dermaßen niedergeschlagen aus, dass ich seufzend zustimme. Für ein paar Stunden nicht an David zu denken hat ja auch was Gutes. Denn so lange kann ich mich noch der Illusion hingeben, dass alles gut wird. Irgendwie. Vielleicht schaffe ich es ja, mich so für das alles entscheidende Gespräch mit David ein wenig zu beruhigen. Nicht sehr wahrscheinlich, aber einen Versuch ist es wert. Und wer weiß, möglicherweise wird das Interview ja ganz interessant und macht mir sogar Spaß.
    Eine Dreiviertelstunde später ist meine anfängliche Euphorie Ernüchterung gewichen.
    Ich stehe vor dem Verwaltungsgebäude des Campingplatzes »Schöne Aussicht«, neben mir der Eigentümer Bernd Pallaske, und fühle mich komplett unvorbereitet. Um nicht zu sagen, total eingerostet. Ich wusste schon, warum ich Olli gleich zu Anfang gesagt habe, dass ich als Reporterin nicht tauge, aber er wollte ja nicht auf mich hören. Das hat er nun davon.
    Seit zehn Minuten textet mich Bernd Pallaske im schönsten Berlinerisch mit allerhand wichtigen und unwichtigen Informationen über den Platz zu, ohne ein einziges Mal Luft holen zu müssen. Mit dem Diktiergerät in der Hand, das Olli mir dankenswerterweise überlassen hat, stehe ich daneben und weiß nicht, was ich tun oder fragen soll – falls Bernd Pallaske mich irgendwann doch mal zu Wort kommen lässt.
    Der Campingplatz-Eigentümer ist ein kleiner Mann mit Halbglatze, der aussieht wie eine Kugel und schnauft wie ein Walross. Er trägt ein buntes Hawaiihemd, eine schlabbrige kurze Hose und Badelatschen. Seine speckigen Haare hat er so gekämmt, dass diese die lichten Stellen auf dem Kopf kaschieren, was ihm allerdings nicht sonderlich gut gelungen ist.
    »Sind Sie denn bisher mit der Auslastung des Campingplatzes im Vergleich zum Vorjahr zufrieden?«, versuche ich, meine erste richtige Frage zu stellen, als Pallaske kurz innehält, um sich die verschwitzte Stirn mit einem Taschentuch abzutupfen.
    Er glotzt mich an, als ob bei mir eine Schraube locker wäre, und deutet auf die vollgestellten Wohnwagenplätze und den dicht bevölkerten Zeltplatz links von uns in Richtung Strand. »Dit sehn Se doch, Meedchen!«, bemerkt er mit einer jovialen Geste, ich möchte am liebsten auf der Stelle im Erdboden versinken. »Oda wolln Se jenaue Zahln?«
    Und ehe ich mich’s versehe, zieht Pallaske ein Büchlein aus seiner Hemdtasche und rattert die bisherige Auslastungsstatistik von diesem und letzten Jahr herunter, dass mir nur so der Kopf schwirrt. Spätestens nach der zehnten Zahl und etlichen Querverweisen habe ich den Faden restlos verloren. Allmählich keimt in mir der Verdacht, dass es völlig wurscht ist, was ich in den Artikel schreibe, solange ich den Namen Bernd Pallaske oft genug erwähne. Der Mann ist dermaßen von sich eingenommen, das geht auf keine Kuhhaut. Wahrscheinlich hält er sich für den größten Womanizer auf diesem Planeten, so oft, wie er schon auf mein Dekolleté gestiert hat. Alter Schmierlappen.
    »Wolln Se denn jetze dit Foto machn?«
    Ich schaue Bernd Pallaske verständnislos an. »Was für ein Foto?«
    Er lacht schallend und haut sich dabei auf die dicke Bierwampe, die unter seinen Lachanfällen bebt. »Sie ham Humor, Meedchen, dit jefällt mir.«
    »Entschuldigen Sie, Herr Pallaske, ich bin für einen Kollegen

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