Zuckerpüppchen - Was danach geschah
sei sie. Eine, die auch schon von zu Hause weggelaufen war. “Ich Narr”, hatte Horst gesagt, bevor er ging. Sah man ihr an, daß sie anders war? Selbst in ihren Träumen beschimpfte man sie. Wurde sie verfolgt. Konnte man sie denn nicht in Ruhe lassen?
Als Dagmar sie Donnerstag morgen zum Einkaufen abholte, schrillte das Telefon wieder. Gaby blieb erstarrt stehen. Vielleicht konnte sie es jetzt Hubert beweisen. Sie fühlte seine Zweifel. Hätte er sie nicht sonst auch schon längst in die Arme genommen, sie getröstet? “Nimm du bitte den Hörer auf’, flüsterte sie Dagmar zu, als könne der Fremde mithören. Dagmar nickte. Gaby hatte ihr von den Anrufen erzählt. “Hallo”, sagte sie, und gleich darauf sah Gaby ihr Gesicht erstarren, eine dunkle Röte kroch vom Hals bis zu ihrem Haaransatz. Wortlos legte sie nach einigen Sekunden den Hörer auf die Gabel. “So ein Schwein”, sagte sie. “Ich wußte nicht, daß jemand so etwas aussprechen kann.” Mittags hatte Dagmar es Hubert erzählt. “Also, die Ausdrücke kann ich nicht wiederholen, aber er droht auch. Er droht, das alles wirklich zu tun.”
“Jetzt langt es”, sagte Hubert, als wäre es erst jetzt zur Tatsache geworden. “Ich schalte die Polizei ein.”
Zwei Kriminalbeamte kamen am nächsten Abend. Zögernd erzählte Gaby von den Anrufen. Und was er sagte. Die holländischen Obszönitäten gingen ihr beinahe nicht über die Lippen. “Er droht”, schloß sie leise. “Er sagt, er kommt. Und dann will er das alles tun. Und ich könnte nicht weglaufen.” Mit unbewegtem Gesicht hatten die beiden Männer ihren Bericht angehört. Hubert saß ihr gegenüber im Sessel und betrachtete seine Schuhspitzen. Warum sitzt er nicht neben mir? Warum hält er nicht meine Hand? Sie ballte die Faust und grub die Nägel in ihre Haut. Ganz tief, dann hörte das Zittern auf. “Eine Fangschaltung”, schlug der jüngere Beamte vor. “Dann können wir alle eingehenden und von hier geführten Telefongespräche kontrollieren. Dann wissen wir bald, wer dahinter steckt.” — “Dann hören Sie alle Gespräche mit?” wollte Hubert wissen. Er hatte eine steile Falte zwischen den Augenbrauen. Der ältere Beamte nickte. “Das ist der Nachteil. Aber Sie können auch nur so tun als ob.” Er wandte sich direkt an Gaby. “Wenn Sie den Hörer abnehmen, sagen Sie laut und deutlich, daß alle Gespräche aufgenommen werden. Daß Sie die Polizei eingeschaltet haben. Nicht mehr. Ganz ohne Emotionen. Das schreckt ihn vielleicht ab.”
Langsam bürstete Gaby ihr Haar. Sie hatte schönes Haar. Hubert liebte es. Wenn sie im Bett lagen, breitete er es oft wie einen Fächer über ihr Kissen aus und vergrub sein Gesicht darin. “Wie gut du duftest”, murmelte er dann. In solchen Momenten war er ihr nah. Ihr war es dann, als ob mit dem Öffnen ihres Körpers auch von ihm mehr als seine Begierde zu ihr floß. “Nur weil wir uns lieben, ist es so”, bestätigte er ihr. Wenn er gleich nach seinem Höhepunkt neben ihr einschlief, lag sie noch lange wach. Sie hörte seinen regelmäßigen Atem, fühlte seine Wärme und fragte sich, warum sie sich doch so einsam fühlte. Waren seine Phantasien nur Wunschträume, oder wollte er sie eines Tages doch in die Wirklichkeit umsetzen? Im Bett ging sie auf seine bizarren Vorstellungen ein, weil er sie bedrängte. “Sag es, sag es, sag mir, was ich hören will.” Es erregte ihn, aber sie begann zu frieren. Tagsüber traute sie sich nicht, mit ihm darüber zu reden. Sie konnte doch unmöglich mit diesem Mann, der mit blütenweißem Oberhemd und dezent gemusterter Krawatte dasaß, die schwülen Frivolitäten ihres Schlafzimmers besprechen. Aber die Vorstellung, ihn mit anderen Frauen teilen zu müssen, dabei zuzusehen, selbst auch... allein der Gedanke daran machte sie schon elend.
Ich schreibe ihm, dachte sie, ich schreibe ihm einen Brief. Dann kann ich ihm erklären, daß ich nichts gegen seine Träume habe, seine Phantastereien nicht verurteile. Aber es mußten Träume bleiben. Sie konnte ihre Intimität nicht teilen. Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken, daß er eine andere Frau streichelte, sie wollte von keinem anderen Mann berührt werden. Erleichtert legte sie die Haarbürste auf den Toilettentisch. Daß sie nicht eher daran gedacht hatte. Wenn er lesen würde, wie sehr sie ihn liebte, würde er auch glücklich sein. Sie hatte es ihm doch bewiesen. Zu seinem Geburtstag. Und er hatte gesagt, daß es ihre Entscheidung war. Immer sein
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