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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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würde. Vielleicht würde er sie aber auch lachend in die Arme nehmen. “Du hast mich vollkommen verkehrt verstanden, Kleines. Ich will keine andere Frau.” Ja, vielleicht würde er das sagen. Aber manchmal konnte er schreckliche Dinge sagen. Nachdem die obszönen Telefonate aufgehört hatten — Gaby hatte nur einmal mit der Polizei gedroht, und der Anrufer war aus dem Feld geschlagen — hatte Hubert sie während einer Umarmung gefragt: “Hat es dich nicht doch erregt, fandest du es nicht auch ein wenig spannend, was er wollte?” Sie hatte ihn empört weggestoßen. “Wie kannst du das sagen? Wie kannst du nur?” Er hatte leise gelacht. “Stell dich nicht an. Es ist doch nur eine Frage. Viele Frauen finden im Bett Dinge spannend, die sie bei Tageslicht erröten lassen.” — “Ich nicht”, hatte sie gesagt und ihm den Rücken zugedreht. Aber er kannte sie zu gut. Er wußte, wie er sie wieder erwärmen konnte. “Ich will alles mit dir erleben”, stöhnte er an ihrem Ohr. “Nur mit dir. Es gibt so vieles...”
    Ich schreibe ihm, dachte Gaby, dann ist alles deutlich. Dann hat er es schwarz auf weiß.
    “Es liegt nur an dir, wie es zwischen uns wird”, hatte Pappi einmal zu ihr gesagt. Auch da war es ihre Entscheidung gewesen. Sie hätte mehr kämpfen müssen, sich totschlagen lassen müssen. Dann wäre ihr alles weitere erspart geblieben. Eine Märtyrerin für ihre Unschuld. Was für eine Unschuld? Mit sechs Jahren war sie unschuldig gewesen. Unschuldig! Wenn man nicht mehr unschuldig ist, ist man dann schuldig? Wurde sie mit sechs Jahren schon schuldig? Sie hatte doch gesagt: “Das darf man nicht! Hör auf, das ist eine doofe Geschichte.” Er hatte nicht aufgehört. Wer hört schon auf ein Kind? Wer gibt ihm Antwort? Alle schweigen. Das Schweigen ist der Nährboden der Gewalt. Gestern hatte sie einen Artikel in der Zeitung gelesen. Da hatte ein Kind nicht geschwiegen. Es war zum Jugendamt gegangen. Es hatte gesagt, was der Vater tat. Jeden Freitag, wenn er getrunken hatte. “Er schlägt mich noch tot”, hatte das Mädchen gesagt. “Ich habe Angst.” Man hatte es beruhigt. Man würde sich darum kümmern. Man hatte Notizen gemacht. Zwei Wochen später war das Kind tot. Niemand hatte sich gekümmert. Polizei und Staatsanwaltschaft wußten von nichts. “Eine Informationspflicht gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft besteht nicht”, hatte der Sprecher des Jugendamtes gesagt. Doch die Notizen des Kindes hatte er. Gut bewahrt in der Schublade.
     
    Hubert hatte ihren Brief gelesen. Er brachte ihr einen großen Strauß dunkelroter Rosen. “Für meine einzige Geliebte”, stand auf dem beigefügten Kärtchen. Er nahm sie in seine Arme. “Du machst dir viel zuviel Gedanken, Kleines. Du mußt dir nicht immer deinen hübschen Kopf zergrübeln. Wir lieben uns. Nur das ist wichtig. Verstehst du das?” Nur die Liebe war wichtig, sagte er. Und das Vertrauen, dachte sie. Und die Hoffnung. Sie wollte ihm vertrauen. Trotz Patty. Trotz seiner Besprechungen und Geschäftsessen. Trotz dieses Geruches... Ihre Phantasie spielte ihr einen Streich. Jeder konnte einmal einen Fehler begehen. Auch Hubert. Es war gar nicht so aufregend gewesen, hatte er ihr doch gesagt. Er hatte bestimmt begriffen, daß die Kluft zwischen Phantasie und Wirklichkeit besser nicht überbrückt werden sollte. Er wußte, daß sie es nicht ertrug. Jetzt hatte er es schwarz auf weiß. Das konnte er nicht wegwischen und unter den Tisch kehren. Sie hatte deutlich ihre Meinung gesagt. Und sie war kein Kind mehr. Ihre Stimme hatte Gewicht.
    Sie schnupperte an den Rosen. Sie hatten keinen Duft. Vorsichtig rieb sie mit Daumen und Zeigefinger über eines der sammetweichen Blütenblätter. Die Blüten waren echt, sie gaben ein wenig Farbe ab. Sie hatten nur keinen Duft.
    Jeden Abend gingen sie zusammen mit Blacky um den Block. “Den kleinen oder den großen?” fragte Hubert an der ersten Ecke. “Den großen”, sagte Gaby meistens. Das bedeutete, daß sie eine Viertelstunde seinen Arm um ihre Schultern spürte, eng umschlungen ihre Hand auf seiner Taille ruhte. Er paßte seinen Schritt dem ihren an, manchmal hauchte er einen Kuß auf ihre Schläfe. Der Hund lief vor ihnen, sie blieben stehen, wenn er bei jedem Baum sein Bein hob, sie zogen ihn an den Rand des Bürgersteigs, wenn er seinen Haufen machte. Während sie dem Hund folgten, erzählte Hubert von seinem neuen Chef. “Der vierte in sieben Jahren. Ich bin mal gespannt, was der für

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