Zuckerpüppchen - Was danach geschah
wir nächste Woche zusammen zu ihr zum Kaffee. Sie hat sich schon nach dem ‘deutschen Zuwachs’ erkundigt.”
Beim Essen hätte Gaby gern die Neuigkeiten erzählt, eine deutsche Nachbarin und Aussicht auf eine weitere deutsche Bekannte, aber sie schwieg. Hubert hatte gleich zu Beginn eine neue Regel eingeführt. “Wegen der Kinder”, sagte er, “auf diese Art lernen sie die Sprache am besten. Bei Tisch wird nur holländisch gesprochen.” Das hieß natürlich auch, daß eine richtige Unterhaltung nicht möglich war. Hubert mußte jedes zweite Wort übersetzen, verbesserte die Aussprache, lobte die Kinder, wenn sie vom Vortage noch etwas behalten hatten. “Du mußt dich trauen, Gaby”, ermunterte er sie. “Am schwierigsten sind die Kehllaute. Ch, ch”, er faßte mit Daumen und Zeigefinger an seine Kehle, “hier tief unten mußt du das sprechen. Sag mal Scheveningen, daran haben die Holländer im Krieg die deutschen Spione erkannt. Wer nicht Scheveningen sagen konnte, war entlarvt.” — “Ja, Mammi, sag mal Scheveningen.” Natalie sprach das Wort tadellos aus. Auch Manfred legte seine Gabel hin und sah sie erwartungsvoll an. “Ch, ch”, sagte Hubert, und es klang wie ein heiseres Krächzen. Gabys Kehle wurde eng, sie glaubte, nicht einmal mehr ihren eigenen Speichel schlucken zu können.
“Schluck es, schluck es”, hatte Pappi gesagt.
Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. “Mir ist nicht gut”, murmelte sie schwach, “ich glaube, ich bekomme Kopfschmerzen.” — “Mammi ist entlarvt, Mammi ist entlarvt”, rief Natalie. “Also, Kinder”, Hubert rettete die Situation, “wir räumen den Tisch ab, und Mammi legt sich ein wenig hin. Scheveningen läuft uns ja nicht weg.”
Als die Kinder später im Bett lagen, schmiegte sie sich an Hubert. Er strich ihr mit einer Hand über den Kopf, während er weiter die Zeitung las. “Auch eine gute Übung, jeden Tag die Zeitung lesen. Zuerst verstehst du nur die Überschriften, aber langsam wird es immer mehr. So habe ich es auch gemacht.”
“Aber du hattest schon jahrelang in Deutschland Holländisch studiert und anschließend hier noch einen Intensivkursus von der Firma besucht”, erinnerte ihn Gaby.
Und damit er nicht denken sollte, sie würde seine Ratschläge in den Wind schlagen, fuhr sie schnell fort: “Kann ich nicht auch einen Kursus besuchen? Ich meine an einer Volkshochschule, damit ich eine Basis habe?” Sie fühlte sich so unendlich dumm, wenn Hubert sie wie ein kleines Kind bei jedem Wort korrigierte und über ihre Aussprache lachte. “Ach, Kleines”, er zog sie an sich und küßte ihre Nasenspitze, “das hast du doch nicht nötig. Du wohnst doch jetzt hier. Eine Sprache lernt man im Land am schnellsten, und einen geduldigeren Lehrer als mich gibt es nicht.” Sie mußte ihm zustimmen. Abend für Abend saß er mit den Kindern über ihren Schularbeiten und erklärte ihnen, was sie tagsüber während des Unterrichts nicht begriffen hatten. Nie erhob er seine Stimme, nie war ihm anzumerken, wann es ihm zuviel wurde. Ich habe es richtig gemacht, dachte Gaby dann, er ist ein wunderbarer Vater, geduldig und hilfsbereit. Es war nur, daß die Kinder tagsüber in der Schule stundenlang Holländisch hörten, während sie allein zu Hause war. Zum Einkaufen ging sie in Selbstbedienungsläden. Stundenlang hatte sie gestern den Satz für die Fleischtheke geübt: “Mag ik alstublieft iets van deze worst?” (Darf ich bitte etwas von dieser Wurst haben?) Beim Tischdecken hatte Hubert am Vorabend gesagt: “Die abgepackte Wurst ist diese Woche teurer als die frische. Ich finde auch, frisch schmeckt sie besser. Denkst du daran, morgen frische Wurst mitzubringen?”
Als sie den Satz dann endlich ohne zu stottern am Wurststand herausgebracht hatte, legte das Mädchen mit dem koketten blauen Hütchen das Messer aus der Hand. “Was sagten Sie? Ich kann Sie nicht verstehen?” Ihr Deutsch war entschieden besser, als Gabys Holländisch. Hinter sich hörte sie zwei Frauen kichern.
“Also abgemacht, ja. Jeden Tag zehn Worte wie die Kinder und versuchen, die holländische Zeitung zu lesen. Die Überschriften sind ja erst einmal genug für dich. Dann wird es schon langsam.” Als er ihr enttäuschtes Gesicht sah, fügte er noch liebevoll hinzu: “Von der Firma bringe ich dir dann noch die Frankfurter Allgemeine mit. Damit du auf dem laufenden bleibst.”
Wie sehr sie ihn liebte! Oft sah sie ihn verstohlen von der Seite an, fragte sich, warum ein
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