Zuckerpüppchen - Was danach geschah
darin, daß er allein entscheiden darf, was er will.” Mein Baby, mein kleiner Sohn, dachte Gaby. Wie gerne hätte ich dir diesen Kampf erspart. Wie gerne hätte ich dich glücklich und beschützt aufwachsen sehen, mit Vater und Mutter. Verzeih mir, daß ich dir das angetan habe.
Ich will alles dafür tun, daß du stärker aus dieser Krisis hervorkommst, ich will dir helfen, soweit ich kann.
Mit Daniel führte sie lange Gespräche über den Sinn des Lebens, über Liebe und über Verantwortung. Sie versuchte, Hubert nicht zu verurteilen. “Er konnte wahrscheinlich nicht anders”, erklärte sie Daniel, “weil er selbst in seiner Jugend zuviel Verantwortung hat tragen müssen. Und unter Liebe versteht jeder etwas anderes. Ganz bestimmt liebt euch euer Vater”, sagte sie.
“Kann ja sein”, sagte Daniel und schaute sie mit seinen ernst gewordenen Rehaugen an. “Aber wo ist dann in den letzten Jahren seine Verantwortung geblieben? Er mußte doch wissen, daß er mit dem Feuer spielte? Und er mußte doch auch daran gedacht haben, was das für uns, seine Kinder, bedeuten würde?”
“Ich glaube nicht, daß er diesen Gedanken je zu Ende gedacht hat.” Und Gaby erinnerte sich an den immer wieder zurückkehrenden Traum Huberts, in dem er seine Kinder vor seinen Augen ertrinken sieht und er sie nicht mehr erreichen kann. “Höchstens sein Unterbewußtsein, das hat ihn hin und wieder daran erinnert”, fügte sie noch hinzu. Daniel setzte sich zu ihr, lehnte seinen Kopf an ihre Schulter. “Wir werden es schon schaffen, Mammi. Wir sind doch zu dritt. Man kann doch auch zu dritt noch ein schönes Leben haben?” Da klang soviel Verzweiflung aus seiner Stimme, daß sie an sich halten mußte, um nicht laut aufzuweinen. Warum tat Hubert ihnen das an? “Ja”, tröstete sie ihren Sohn, “wir werden es schon schaffen.” Und sie wußte, daß sie es schaffen würde. Sie mußte einfach durch diese Zeit durch, so schmerzhaft sie auch war. Sie mußte warten, daß der Schmerz weniger werden würde. Alle sagen, daß er weniger würde. Die Zeit ist der beste Heilmeister.
Hubert kam, um die Kinder einmal zu sehen. Sie weigerten sich, ihn zu besuchen. “Was erwartest du vom Leben?” fragte ihn Gaby, als die Kinder nach einigen artigen Redensarten das Wohnzimmer fluchtartig wieder verlassen hatten. Er lächelte sie an. Strahlend. “Ich hoffe, eines Tages eine Frau zu finden, die mich wirklich liebt.”
“Sie dürfen keine Rache und keinen Haß züchten”, sagte ihr Heiler. “Die helfen nicht, verhindern nur die Heilung.”
Nein, sie fühlte keine Rache und keinen Haß für Hubert. Sie hoffte nur, daß ihre Liebe für ihn nicht ewig dauerte. Verdammt lang ist die Ewigkeit.
“Er ist es nicht wert”, sagte Jean.
Was heißt wert sein in der Liebe? Die Liebe kann nicht erklärt werden, dachte Gaby, darin ist sie dem Leiden gleich.
Was hatte sie gelitten? Und warum? Aus Angst, Angst war der rote Faden ihres Lebens. Nur die Angst ließ sie die Wahrheit nicht sehen. Die Wahrheit und das Wissen taten weh. Aber selig und zufrieden sind nur die Einfältigen. Vielleicht war es ein Reichtum, so leiden zu können. Ihr Heiler behauptete es. “Nur wer leiden kann, kann lieben”, sagte er. “Und Sie müssen vor allem lernen, sich selbst zu lieben.” Sich selbst lieben? Ein eigenartiger Gedanke. Alles das, was sie für den geliebten Menschen empfunden hatte, auf sich selbst richten? Ohne Egoismus, ohne Hochmut sich selbst akzeptieren, so wie sie war, sich selbst für liebenswert halten? Ich kann nicht aufgeben, dachte Gaby, ich wüßte eigentlich gar nicht wie. Sie konnte doch ihre Kinder und sich selbst nicht wieder im Stich lassen?
Die Hoffnung auf Liebe trug sie wie ein Sakrament mit sich. Und sie wußte jetzt, daß es zu dem Glauben, den sie verloren hatte, immer eine Alternative gab.
Der Gedanke an Pappi hatte sie nie richtig losgelassen. Beim Schreiben der Geschichte ihrer Kindheit war sie wieder vollkommen zurückgefallen in Wut und Angst und Verzweiflung. Doch langsam sackten diese Gefühle in sich zusammen, verglühten. Nur ein Gedanke blieb: Wie würde es sein, ihm als Erwachsene gegenüberzustehen, nicht mehr das schwache Kind von damals zu sein? Sie grübelte, was würde er sagen, was würde sie fühlen? Und sie wußte, sie würde ihn aufsuchen, eines Tages.
Sie bereitete sich darauf vor. Sie war im Vorteil. Sie wußte, daß sie ihn sehen wollte. Für ihn würde die Konfrontation vollkommen unerwartet kommen, ein
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