Zum Glück Pauline - Roman
hin und her überlegt, denn ich wollte eigentlich schreiben. Das heißt, ich hatte eine vage Idee zu einem Buch über den Zweiten Weltkrieg. Doch schließlich schloss ich mich der vorherrschenden Meinung * an und entschied mich für etwas Handfestes. Seltsamerweise hatte mich auch Sylvie in diesem Entschluss bestärkt, obwohl sie gar nichts von mir gelesen hatte. Ihr Rat hatte also mit keinerlei Geringschätzung meiner Arbeit zu tun. Wahrscheinlich glaubte sie, ich sei für ein unstetes Künstlerdasein mit all seinen Selbstzweifeln und Unsicherheiten nicht gemacht. Ich sah bestimmt aus wie ein junger Mann, der ein geregeltes Leben führte. Der ein geregeltes Leben führte und zwanzig Jahre später mit Rückenschmerzen in seinem Einfamilienhaus in einem Vorort sitzen würde.
Einige Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, stellte mir Sylvie Édouard vor. «Der Mann meines Lebens», verkündete sie trocken. Solche Worte beeindruckten mich immer. Diese triumphale Beredtheit, diese sagenhafte Gewissheit in der ungewissesten Sache der Welt: der Liebe. Wer vermag zu sagen, ob das, was jetzt ist, immer so seinwird? Jedenfalls hatte sie wohl recht, denn ihre anfängliche Gewissheit wurde durch die Jahre nicht erschüttert. Sylvie und Édouard bildeten ein unwahrscheinlich anmutendes Paar, bei dem niemand hätte sagen können, ob die beiden auch ein paar Dinge gemeinsam hatten. Sylvie, die mir gegenüber immer die Schönheit des Flatterhaften gerühmt hatte, hatte sich unsterblich in einen Studenten der Zahnmedizin verliebt. Dass auch Édouard künstlerisch veranlagt war, sollte sich mir erst mit der Zeit erschließen. Aber er konnte mit der Begeisterung eines Künstlers von seiner Arbeit reden. Ekstatisch studierte er die zahnärztlichen Instrumentarienkataloge – sein Bohrer musste immer der letzte Schrei sein. Um ein Leben mit den Zähnen fremder Leute zu verbringen, ist sicher eine gehörige Portion Wahnsinn vonnöten. Auch das begriff ich erst nach einer Weile. Nachdem ich ihn zum ersten Mal getroffen hatte, erinnere ich mich, wollte ich von Sylvie wissen:
«Mal ehrlich, was gefällt dir an ihm?»
«Die Art, wie er von meinen Backenzähnen spricht.»
«Jetzt hör aber auf, sag mal im Ernst.»
«Ich weiß es nicht, er gefällt mir eben. Das ist einfach so, fertig.»
«Aber du kannst dich doch nicht in einen Zahnarzt verlieben. Niemand mag Zahnärzte. Und nebenbei bemerkt, wird man gerade deswegen Zahnarzt, weil einen niemand mag …»
Das hatte ich aus Eifersucht gesagt oder vielleicht auch, um ihr ein Lächeln abzuringen. Sie strich mir mit der Hand übers Gesicht und sagte dann:
«Du wirst sehen, du wirst ihn auch mögen.»
«…»
Zu meinem großen Erstaunen sollte sie recht behalten. Édouard wurde mein bester Freund.
Ein paar Monate später begegnete mir selbst die große Liebe. Die Sache war eigentlich ganz leicht. Jahrelang hatte ich mich in Mädchen verliebt, die mich überhaupt nicht beachteten. Mein mangelndes Selbstvertrauen nagte an mir, während ich versuchte, das Unerreichbare zu erreichen. Als Élise auftauchte, hatte ich die Hoffnung auf ein Leben in Zweisamkeit fast schon aufgegeben. Es gibt dazu im Prinzip nichts zu erzählen; ich meine, alles war so selbstverständlich. Es war einfach schön, wenn wir zusammen waren. Wir gingen spazieren, ins Kino und redeten von den Dingen, die uns etwas bedeuteten. Nach all den Jahren bin ich immer noch ergriffen, wenn ich an unsere Anfänge zurückdenke. Es kommt mir so vor, als liege diese Zeit zum Greifen nahe. Ich kann kaum glauben, dass wir gealtert sind. Aber wer kann das schon? Édouard und Sylvie sind immer noch da. Wir sitzen beim Essen und reden noch immer über die gleichen Themen. Die Zeit kann uns nichts anhaben. Alles bleibt, wie es war. Bis auf eines: diese Rückenschmerzen, die ich seit heute habe.
Auf Sylvies Ratschlag hin ging ich nach oben und legte mich hin. Die Schmerzen unbekannter Herkunft ließen nicht nach. Mein Schädel brummte wie nach einer durchzechten Nacht. Dabei hatte ich nur ein Glas Wein getrunken.Nach ein paar Minuten gesellte sich Édouard zu mir:
«Na, wie geht’s? Wir machen uns schon Sorgen um dich.»
«Das ist echt nicht lustig gerade.»
«Das glaub ich. Ich kenn dich, du bist ja sonst nicht der Mann, der groß Theater macht.»
«…»
«Kann ich mal sehen, wo es wehtut?»
«Hier», sagte ich und deutete auf die Stelle.
«Wenn es dir nichts ausmacht, schau ich mir das mal an.»
«Aber du bist doch
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