Zum Morden verflucht
mehr, verstand nicht, wieso sich Jane so verwandelt hatte, wieso sie jetzt bei Peter war. Und sie hatte Angst um ihren Freund. Sie hatte die unheimliche Ausstrahlung ihrer Schwester gefühlt, diesen bedingungslosen Willen, diese Härte und Kälte.
Gwendolin ließ sich in das Plüschsofa sinken und wollte das Kinn in ihre Hand stützen, als ihr Blick auf den kleinen Schreibtisch fiel. Schon am ersten Tag in Oxford in dem neuen Haus hatte sie ein Doppelbild ihrer Eltern in einem kleinen roten Lederrahmen auf den Schreibtisch gestellt, und seither hatte ihr beim Arbeiten ihre tote Mutter freundlich zugelächelt, und ihr toter Vater hatte sie mit seinen ernsten Augen beobachtet.
Die beiden hatten keine Augen mehr. Schwarze Höhlen klafften ihr entgegen. Mit teuflischer Bosheit hatte jemand die Augen aus den Fotos herausgeschnitten.
Ein krampfhaftes Zittern erfaßte Gwendolins Körper.
Jane! Das konnte nur Jane getan haben, niemand sonst. Namenloses Grauen stieg in dem jungen Mädchen hoch, brach sich Luft in einem fürchterlichen Schrei.
Gwendolin schrie, bis kräftige Fäuste gegen die Eingangstür trommelten. »Miß Haskill!« rief eine Frauenstimme. »Miß Haskill, um Himmels willen, was ist denn los? Machen Sie sofort auf, Miß Haskill! «
Mrs. Saldower, die Nachbarin. Die schnarrende Stimme brachte Gwendolin augenblicklich wieder auf den Boden der Wirklichkeit. Sie drehte den Kopf, um die leeren Augenhöhlen ihrer Eltern nicht mehr sehen zu müssen, und stolperte zur Haustür.
Mrs. Saldower stand mit erhobenen Fäusten draußen, bereit, die Tür einzuschlagen. Als sie Gwendolin sah, atmete sie erleichtert auf. »Gott sei Dank, ich habe schon gedacht, jemand hätte Sie umgebracht.« Neugierig äugte sie an Gwendolin vorbei in die Diele. »Sind Sie allein? Ist alles in Ordnung?«
»Äh, ja, ich bin nur fürchterlich erschrocken«, stammelte Gwendolin verlegen. »Hm, eine Ratte, wissen Sie.«
»Ratten.« Mrs. Saldower nickte verständnisvoll. »Ich kann die Biester auch nicht ausstehen. Armes Kind! Aber, stellen Sie sich vor, in Oxford werden die Leute noch verrückt! « Sie drängte sich an Gwen vorbei ins Haus und saß im Wohnzimmer, ehe das Mädchen etwas sagen konnte. Seufzend schloß Gwendolin die Tür und ging zu Mrs. Saldower hinein.
»Also Sie kennen doch Sally, die auch auf das College geht, meine ich.« Als Gwendolin nickte, fuhr Mrs. Saldower eifrig fort: »Sie hat sich vor einer halben Stunde entlobt. Der arme Junge, er sitzt bei seiner Mutter daheim und heult sich die Augen aus. Und Annabel – auch die vom College – hat ihre Mutter so beschimpft, daß die arme Mrs. Caldwell einen Herzinfarkt bekommen hat – auch vor einer halben Stunde. Der Arzt meint, da wäre nichts mehr zu machen, die Ärmste hat nur mehr ein paar Stunden. Und das alles aus heiterem Himmel. Was sagen Sie dazu?«
Gwendolin Haskill sagte zunächst gar nichts. Sie hatte geschickt die Fotos ihrer Eltern umgedreht, damit Mrs. Saldower die Verstümmelung nicht sehen konnte. Es wäre Wasser auf die Tratschmühle ihrer Nachbarin gewesen. Zuerst hatte sie der Frau gar nicht zugehört, aber dann war sie aufmerksam geworden.
Sally und Annabel waren zwei Mädchen in ihrem Alter, freundlich, ein wenig hausbacken, zuverlässig. Sie waren nicht Gwendolins Freundinnen, aber Gwen mochte die beiden. Sally hing an ihrem Verlobten mit abgöttischer Liebe. Sie hatte ihm den Laufpaß gegeben? Gwen schüttelte fassungslos den Kopf. Das gab es gar nicht.
Und Annabel hat ihre Mutter so beschimpft, daß Mrs. Caldwell einen Herzinfarkt bekommen hatte? Mrs. Caldwell war seit Jahren schwer herzleidend. Die geringste Aufregung konnte ihren Tod bedeuten. Annabel war im-20mer so rücksichtsvoll gewesen, daß ihre Freundinnen schon den Kopf darüber schüttelten und meinten, Annabel solle doch auch einmal an sich und nicht immer nur an ihre kranke Mutter denken.
Mrs. Saldower schien recht zu haben, die Leute in Oxford spielten verrückt. Zuerst Jane, dann Sally und Annabel . . . Nette Collegemädchen, die . . .
Collegemädchen? Alle drei gingen auf dasselbe College, fiel Gwendolin ein, und alle drei standen auf Dr. Emersons Hörerliste.
»Tut mir leid, Mrs. Saldower. « Gwendolin Haskill stand auf und ging zur Tür. »Mir ist soeben eingefallen, daß ich eine wichtige Verabredung in der Stadt habe. Entschuldigen Sie mich, bitte.«
Kaum war Mrs. Saldower gegangen, als sich Gwendolin einen leichten Mantel überwarf, das Haus verließ und eben noch
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