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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wurden aus den Posaunen geblasen … lauter kleine, silbern gekleidete Männchen mit Mützchen wie Notenschwänzchen … Und sie lösten sich in der Luft auf wie Tautropfen in der Sonne, aber jeder von ihnen hatte einen Klang –
    Das ist schön, empfand Boltenstern und sah den silbernen Tonmännchen zu. Das ist wirklich eine Attraktion. Er lächelte zur Kapelle hin und schüttelte dann den Kopf. Die Instrumente hatten sie gewechselt, die Teufelskerle. Jetzt bliesen sie auf vergoldeten Knochen, wie die Neger in früheren Zeiten … die Trompete war ein Oberschenkelknochen, die Tuba eine Hüftschale, das Saxophon die Wirbelsäule mit dem Steiß. Und die Posaune – Jungs, ihr seid eine Bande! – war ein Unterarm, und sie schoben die Elle vor der Speiche hin und her und bliesen und bliesen …
    Boltenstern erhob sich. Er schwankte nicht, nichts an ihm zeigte eine Veränderung. Im Gegenteil: Mit gerader Haltung, mit durchgedrücktem Kreuz, als sitze er zur Parade auf einem Pferd, stieg er die Stufen der Empore hinab in den Saal. Er ging mit durchgedrückten Beinen, ein wenig hölzern, aber fest im Schritt, den Kopf gerade und die Arme leicht pendelnd an den Seiten.
    Mit starrem Blick schob er sich durch die Menge der alten Soldaten. Er drückte Hände, sagte ein paar allgemeine Worte zu denen, die ihn ansprachen, trank sogar einen Freundschaftsschluck Bier aus einem Maßkrug und strebte dann ins Freie. Dort blieb er stehen und bewunderte die Welt.
    Ein orangeroter Himmel.
    Ein Gebirge aus blauschimmerndem Kristall vor ihm, über das die Wolken zogen wie goldene Wagen. In ihnen saßen Elfen, deren lange Haare im Wind flatterten.
    »Wie schön!« sagte Alf Boltenstern. »Wie unbeschreiblich schön!«
    Mit langen Schritten rannte er dem Kristallberg zu, und als er die ersten leuchtenden Kristalle berührte, waren sie nicht kalt, sondern schmiegten sich in seine Finger wie das sehnsüchtige Fleisch einer liebenden Frau.
    Überall war nun Musik um ihn, überall tanzten die kleinen silbernen Männchen mit den Notenmützchen. Er winkte ihnen zu, er sang die Melodien mit, die er kannte, und siehe da … auch aus seinem Mund quollen die Männchen und tanzten vor ihm her, den leuchtenden Kristallberg hinauf, der mit seiner Spitze den orangenen Himmel anbohrte.
    Die Rufe und Schreie um ihn herum verwandelten sich ebenfalls in Musik und in kleine, quicklebendige Silbermännchen. Einer der goldenen Wagen, die ja Wolken waren, ratterte an ihm vorbei. Er hörte die Elfen lachen, und sie hatten ganz große, leuchtende Augen und violette Gesichter, wie getöntes Glas, hinter dem man schemenhaft die Einzelheiten erkennt … die Knochen, die Adern, die Sehnen, das Hirn … leuchtende Wesen …
    Unter Boltenstern versammelten sich in einer riesigen Staubwolke fast zweitausend Menschen. Mehr gebannt als entsetzt starrten sie hinauf zu dem Mann, der außen an dem Eisengestänge der Achterbahn hinaufkletterte, sich von Strebe zu Strebe schwang, mit einer unheimlichen Sicherheit und Schnelligkeit. Von den Buden heulten die Sirenen. Die Bremser und der Besitzer der Achterbahn standen hilflos im Innern der Eisenkonstruktion. Die letzten Wagen ratterten bergauf und talab, sie waren ja nicht anzuhalten und mußten ihre Strecke abrasen, und in den Wagen hockten, sich an den Griffen festkrampfend, die vor Sekunden noch fröhlich kreischenden Menschen und starrten wie gelähmt auf den Mann, der immer höher und höher kletterte. Sie rasten an ihm vorbei, zweimal, dreimal, ehe sie endlich unten ausliefen und gebremst wurden.
    »Er singt!« schrien sie in die starre Menge vor der Achterbahn. »Er singt beim Klettern!«
    Feuerwehr und Polizei rasten mit Sirenen und Blaulicht heran. Dr. Breuninghaus hatte sich den Schlips vom Kragen gerissen. Er sah aus, als habe man ihn verprügelt. Hinter ihm drängten sich Petra Erlanger und der General v. Rendshoff; selbst den alten v. Kloph hatte man mit seinem Rollstuhl hinausgerollt, denn sein Pfleger wollte ja auch etwas sehen.
    »Was ist?« fragte der Greis und legte die Hände an die Ohren. »Kommt jetzt das Feuerwerk?«
    »Absperren!« schrie Breuninghaus und warf die Arme hoch. »Zurücktreten! Sie verhindern die Rettungsaktion! Feuerwehr durch! Und Ruhe! Zum Teufel, hat niemand einen Lautsprecher?«
    »Nein, so was! So was!« sagte v. Rendshoff und stützte Petra Erlanger. »Was soll das alles? Ich verstehe das nicht! Ist er verrückt geworden?«
    Boltenstern kletterte weiter. Der Zauberberg um ihn glänzte

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