Zum Nachtisch wilde Früchte
die Privatwagen gestaffelt hintereinander. Ein feierliches und imponierendes, ein deutsches Bild.
Major Ritter sprang als erster aus seinem Sportwagen und hob wie ein Dirigent vor der Ouvertüre die Arme.
Zehn Minuten nach zwölf.
»Bewegung! Bewegung, Herrschaften!« brüllte Ritter. »Keine Müdigkeit! In Marschkolonne aufgestellt! Fahnen in Sechserreihe! Himmel, wo bleibt die Kapelle? Los, los, Herrschaften!«
Vor der großen Trauerhalle winkte ein Posten ins Innere. Die Orgel begann zu spielen, die leisen Gespräche der Anwesenden verstummten; Ergriffenheit glitt über die Gesichter.
Von der Familie Boltensterns war niemand erschienen. Jutta lag mit einem schweren Nervenfieber im Bett. Eine Krankenschwester bewachte sie, nachdem Jutta zweimal versuchte hatte, in die Küche zu kommen und die Hähne des Gasherdes aufzudrehen. Sie wußte davon nichts mehr … es waren Reflexhandlungen einer zerstörten, verzweifelten Seele gewesen.
Auch Petra Erlanger fehlte. Sie war verreist. Irgendwohin, keiner wußte es genau, nicht einmal der Butler oder die Post, die keinen Postnachsendeantrag bekommen hatte. So saß nur Werner Ritter als Schwiegersohn in der ersten Reihe neben dem Pfarrer – der andere freie Stuhl war reserviert für Konrad Ritter, den ›Major‹. Toni Huilsmann hatte sich entschuldigen lassen … er begriff noch gar nicht, was in Nürnberg geschehen war.
Ehrfürchtig rückten die Fahnen in die Halle ein. Die Ehrenabordnungen in ihren Uniformen. Schützen, Jäger, Reiter, Feuerwehr, Kriegerverein. Dann die Gäste, an der Spitze Generaldirektor Dr. Hollwäg und Oberstaatsanwalt Dr. Breuninghaus. Der ganze Golfklub. Die Tennisfreunde.
Erschrocken sah sich der Pfarrer um. Das war keine Trauergemeinde mehr … das war der Aufmarsch eines Heeres.
Die Orgel schwieg. Vor das verkleinerte Sinfonieorchester trat der Dirigent. Es war still in der großen Halle, jedermann hielt den Atem an.
Boltensterns letzter Musikwille.
Und das Orchester brauste auf, mit mächtigen Akkorden und schmetternden Fanfaren.
Wagner.
Der Walküren-Ritt.
Major Ritter wischte sich über die Augen. Er weinte. So geht ein großer Mensch dahin, dachte er. Freund Boltenstern – zieh ein in Walhall!
An einem Oktobertag, es war regnerisch und neblig, wurde der Architekt Toni Huilsmann aus seiner Traumvilla abgeholt. Zwei weißgekleidete, kräftige Männer nahmen ihn in ihre Mitte und führten ihn zu einem geschlossenen Wagen. Huilsmann ging ohne Gegenwehr mit … er tänzelte zwischen den großen weißen Gestalten, lachte den nebligen Himmel an und hüpfte von einem Bein auf das andere.
Nachbarn hatten das Krankenhaus alarmiert. Man hatte beobachtet, wie Huilsmann nackt vor den offenen Fenstern herumturnte oder auf einem Schrank hockte und unartikuliert sang. Ein Arzt, der in das unabgeschlossene Haus eindrang und Huilsmann eine Beruhigungsinjektion gab, stellte eine manische Verblödung fest, die ihm in einem solchen Ausmaß noch unbekannt war.
Als Huilsmann eine Stunde später in die psychiatrische Klinik eingeliefert wurde und sofort ein Einzelzimmer erhielt, setzte er sich auf das saubere Bett und starrte den Oberarzt verzückt an.
»Apollo …«, sagte Huilsmann mit merkwürdig hoher, singender Stimme. »Ich habe immer gesagt: Die Farbe der Liebe ist nicht rot, sondern violett …«
Der Oberarzt nickte und ging hinaus. Auf dem Flur traf er den Klinikchef, der sich den Neueingang auch ansehen wollte.
»LSD, Herr Professor!« sagte er. »Die typische ›violette‹ Halluzination! Wenn das in Deutschland um sich greift, werden wir noch allerhand zu tun bekommen. Dann sollte man statt Sozialwohnungen lieber Irrenhäuser bauen … wir werden sie nötiger haben!«
Der Professor hob die Schultern, nahm seine Goldbrille ab und putzte sie. »Wem sagen Sie das, mein Lieber«, sagte er leise.
In seinem Zimmer sang Toni Huilsmann mit fast mädchenhaft heller Stimme. Eine fremde, nie gehörte Melodie … schwebend und sich hinziehend. Sphärenklänge.
Sein Gesang drang bis auf den Flur … und es klang noch nicht einmal schlecht, nur fremd.
Unbemerkt, fast heimlich, wurden drei Tage vor Weihnachten Jutta Boltenstern und Werner Ritter getraut. Trauzeugen waren Kriminalrat Dr. Lummer und ein anderer Kollege Werners. In einem Hinterzimmer des Lokals ›Malkasten‹ feierte man zu fünft diesen großen Tag der Liebe, denn außer den Trauzeugen war nur noch Konrad Ritter zugegen.
Und auch er blieb nach zwei Stunden allein zurück und
Weitere Kostenlose Bücher