Zur freundlichen Erinnerung
deutlich ein Aufatmen, als der Freispruch bekanntgegeben wurde und sah aufgeheiterte, fast erlöste Gesichter.—
Peter Windel war frei.
"Kommen Sie nur gleich wieder!" hatte sein Chef gesagt, als er ihm beim Weggehen die Hand drückte. Und der Rechtsanwalt hatte einen Blick wie ungefähr: "Na, das hätten wir wieder durchgedrückt!"
Nach fünfzehn Wochen spürten Peters zögernde
Schritte wieder Straßen, hörten seine Ohren Trambahnrattern, sahen seine Augen Menschen, Farben, Fenster, und er wußte selber nicht, wie und weshalb er plötzlich an einen Schalter herantrat und sagte: "Dritter Klasse! Ja!"
Er stieg auf den Zug und ging nicht in die Kupees. Eine Nacht lang stand er auf dem eisernen, ratternden Vorplatz eines Wagens und atmete.—
Der Wind pfiff. Der Zug sauste, riß die Luft auseinander, zog vorbeifliegende Lichter in die Länge, bohrte hemmungslos in eine dunkle, ungewisse Ferne.
Keine Wand mehr, keine zehn und zwölf Schritte, kein Ende—das Toben und Brausen wieder! Nur diesmal wie ein Flug durch einen unermeßlichen Raum.—
V.
Aber—es ist nicht wahr! Man kann nichts wegtrinken, nichts vergessen machen, nichts auslöschen! Man trägt es mit sich wie ein unsichtbares Schneckenhaus und zuletzt!?—
Es sind immer wieder die kahlen, glatten Mauern, die Tür mit dem ausgestochenen Aug' in der Mitte, die zehn und zwölf Schritte….
Es klopft.—
Es kratzt in den Wänden. Die Würmer nagen. Sie warten und fallen plötzlich in einer Nacht wie schwere Tropfen herab, bohren sich ins Fleisch, nagen—nagen.—
Peter Windel hatte eine wilde Flucht hinter sich. Durch Städte und Dörfer war er gefahren, in Hotels und in Wirtschaften, in Animierkneipen oder am Leib eines Weibes hatte er die Nächte verbracht. Er trank, warf das Geld weg, aß, saß in den Theatern und den Kinos, in den Bars und Vergnügungslokalen jeder Klasse.
Es war immer wieder die Stille, das Stockdunkle, das Grab!—
Er floh und kehrte endlich wieder zurück zu Jank, nahm die Arbeit wieder auf und wurde ruhiger. Es trat die alte Regelmäßigkeit in sein Leben. Ereignislos verliefen die Jahre. Er wurde alt. Gebückt ging er.
Der Chef nahm ihn in die Abteilung für technische Angelegenheiten ins Bureau. Da saß er nun jeden Tag auf seinem Drehstuhl und rechnete, schlug das Buch zu, kam am ändern Tag wieder und rechnete.
Neben ihm saß das Schreibmaschinenfräulein, weiter am Fenster vorne der Ingenieur und manchmal auch der Chef.
Jahre.—
Plötzlich an einem Nachmittag gegen drei Uhr warf Peter Windel die Feder weg, riß sich fast soldatisch herum, ging an den Schreibtisch des Ingenieurs und sagte mit hohler, kalter Stimme: "Die Sache liegt vollkommen glatt. Für den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar."
Steif stand er einen Augenblick vor dem verblüfften Herrn und drehte sich rasch um, rannte zur Tür und war weg.
Schon nach der Mittagspause hatte er sich den Hut unter den
Schreibtisch gelegt. Und jetzt war er froh, daß kein ihm bekannter
Straßenbahner den Wagen führte, in den er stieg.
Nach der fünften Haltestelle stieg er aus. Er war mitten in der Stadt.
"Das Urteil im Heinold-Prozeß! Zwölf Jahre Zuchthaus!" schrien die
Zeitungsverkäufer und flatterten mit den Extrablättern herum.
Wichtige, gesprächige Gesichter tauchten auf, gedrängte Gruppen stauten sich um die Anschlagssäulen.
Peter bohrte seine Augen spähend in die staubige Luft. Nach einem regen Ausschreiten blieb er auf einmal stehen, murmelte etliche Worte heraus, drehte sich mechanisch herum und ging in den Blumenladen, vor dem er jetzt stand. Nach einer langen Weile kam er mit einem großen, auffallend schönen Rosenstrauß heraus, und ein kaltes Lächeln lag auf seinen störrischen Zügen.
"Lebenslänglich in einem Grab … da schon lieber gleich weg," hatte er gestern beim Treppenhinaufgehen gehört, und dann sagte eine andere Frau superklug: "Beantragt erst. Es hängt noch vom Gericht ab."
Heute war niemand im Treppenhaus. Auch die Wohnung war leer. Die Logisfrau war wahrscheinlich zum Putzen gegangen und ihr Mann kam erst gegen sieben Uhr abends von der Arbeit.
Peter öffnete rasch und schritt behend in sein Zimmer, legte behutsam den Rosenstrauß auf den Tisch und holte sich in der Küche warmes Wasser zum Rasieren.—
Als er bereits im Gebrock vor dem Spiegel stand, überfiel ihn auf
einmal ein maßloses Zittern, und eine Totenblässe überzog sein
Gesicht. Mit Gewalt straffte er seine Füße. Dann nahm er endlich den
Strauß
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