Zur freundlichen Erinnerung
und verließ die Wohnung.
Es war schon dunkel, als er vor der Tür des Staatsanwalts Petersen stand und läutete.
"Ich möchte gern … wenn es erlaubt ist … dem Herrn Staatsanwalt diese Blumen bringen … und—und gratulieren," stotterte er dem Mädchen ins Gesicht. Das ließ ihn ein und führte ihn in ein Empfangszimmer. Nach ganz kurzer Zeit tat sich die Mitteltür auf, und Peter stand vor dem Staatsanwalt. Einen Augenblick hatte der Mann eine steinern ernste Miene, dann flossen alle Falten in ein Wohlwollen und er lächelte geschmeichelt.
Mit vielen unbeholfenen Verbeugungen reichte ihm Peter den Rosenstrauß und stotterte devot: "Für … für den außerordentlichen Eindruck, den ich von Ihrer Anklagerede empfing … nur eine kleine Erkenntlichkeit meiner Wenigkeit, Herr … Herr Staatsanwalt, Herr….!"
Der Staatsanwalt nahm ihm mit aller Freundlichkeit der Herablassung den Strauß aus der Hand, führte ihn an die Nase und sog in vollen Zügen den Duft ein, hob den Kopf wieder, sagte: "Ah …!" und drehte sich lächelnd um, zur anderen Tür schreitend: "Das muß ich gleich meiner Frau sagen…."
Jetzt, da er ihm den Rücken zugewendet hatte, rief Peter plötzlich mit schneidender Hast: "Eins, zwei, drei! … einen Augenblick …" und er lächelte, wie um sich zu besinnen … "sind drei … aber nein, nein! Das stimmt nicht! … Zehn und zwölf, verstehn Sie … sind?"
Der Staatsanwalt hatte sich erschreckt umgedreht, stand unschlüssig.
Peters Mund bewegte sich fieberhaft. Schaum stand auf seinen Lippen:
"Verstehn Sie … zehn und zwölf Schritte! Den ganzen Tag! Den ganzen
Monat—ein Jahr—zwei!—drei!—vier—zwölf Jahre! Zwölf Jahre!!"
Und noch ehe der Staatsanwalt auf ihn zustürzen konnte, stieß ihm
Peter mit aller Wucht sein feststehendes Messer in die Brust, daß er
lautlos zusammenbrach und vornüber hinfiel. Dumpf hallte es. Der
Körper warf sich etliche Male zuckend und blieb dann steif liegen.
Peters Mund ging auf und zu: "Zehn und zwölf Schritte—einen Tag, einen Monat—ein Jahr—zwölf Jahre, zwölf——"
Die Tür ging auf. Hoch stand ihr Dunkel. Etwas Buntes, Weißes flimmerte dazwischen! Peter schrie in einem Schrei:
"Für den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar,—Zwölf Jahre Grab!
Verstehn Sie … Das ausgestochene Aug'! Die Würmer! Zwölf Jahre …
Verstehn Sie! Zwölf Jahre Nirgends! Nicht Hölle! Nicht Welt! Zehn und
zwölf Schritte … die Wü-ü-ürmer!"….
Nach der irren Hast der ersten Worte spaltete sich die Stimme, überschlug sich und klang zuletzt wie ein keuchendes, ersticktes Stöhnen. Jetzt hielt er inne.
Die hohen Türen standen offen da. Schwarz und düster. Gegen ihn gerichtet wie drohende Rachen.
Die Gestalten und Gesichter waren fort. Es war still. Still!—Mit weit aufgerissenen Augen starrte Peter in diese Leere. Sein Körper begann zu schlottern, aber er riß sich zusammen. Er wich zurück. Sein Kopf stieß dumpf an den Fenstergriff. Erschrocken wandte er sich herum. Die Helle brach üher ihn. Er öffnete rasch.
Jetzt befiel ihn wieder das Zittern. Sein Gesicht verzerrte sich. Er wollte umsehen und wagte es nicht. Seine Arme umklammerten das Fensterkreuz.
Furchtbar schrie er: "Hilfe! Hi-ilfe!"
Er schwang sich plötzlich mit einem wilden Satz aufs Fenster und sprang in die Tiefe.—
SINNLOSE BEGEBENHEIT
Um es ohne Umschweife zu sagen—: Michel Zöll hatte heute einen guten
Tag.
Vorgestern, als er stumpfsinnig in der Wärmestube der Arbeitsvermittlung saß und an dem nassen, verfilzten Zigarrenstummel saugte, den er auf dem Hergang in der Frühe gefunden hatte, kam sein Weib herein und sagte zu ihm: "Dein Alter ist gestorben … Vom Elektrizitätswerk haben sie hergeschickt, daß er auf der Straße umgefallen ist.—Schau nach!"
Es stimmte.
Jetzt lag der Tote unter der Erde.
"Ich komm schon!—Nachher!" sagte Michel zu seinem Weib nach dem
Begräbnis und schickte es heim, während er zur Logisfrau des
Verstorbenen ging.—
Wie oft hatte Michel es nicht gehört, wenn Fußtritte auf ihn traten, wenn er in eine Ecke flog, wenn die Fäuste seines Vaters auf seinen Kopf niedersausten oder eine Eisenstange, ein Teller, eine Bürste: "Knochen, verstockter!—Der Teufel soll mich kreuzweis' holen, wenn ich dir einen Pfennig hinterlaß'! Ertränkt sollte man dich im ersten Bad haben, du Nichtsnutz!"
Mit sechszehn Jahren noch, als Michel schon im letzten Lehrjahr stand und eigentlich keine Last mehr war, wollte der Alte den Jungen
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