Zurueck Aus Afrika
hatten. So wusste ich schon als Kind, wie verschieden die zwei deutschen Welten waren, da mein Vater viel erzählte, wenn er von einem Besuch aus der DDR zurückkam. Und jetzt sind sie wieder vereint! Alle Welt wusste es, nur bei uns im Busch war diese Nachricht nie angekommen. Angesichts dieser Bilder laufen mir gleich wieder die Tränen herunter. Für meine Mutter und ihren Mann ist es verständlicherweise komisch, wie ich reagiere. Auch die meisten Spielfilme erscheinen mir anders als früher. Oder habe nur ich mich so sehr verändert? Jedenfalls staune ich nicht schlecht über all die Nackt- und Liebeszenen in den heutigen Filmen. In Kenia wird öffentlich nicht einmal geküsst oder auch nur Händchen gehalten, ganz zu schweigen davon, dass bei den Samburu überhaupt nicht geküsst wird. Mir wird allmählich klar, wie puritanisch ich in den vergangenen vier Jahren geworden bin.
Nach ein paar Tagen meint meine Mutter, ich solle mir endlich etwas Neues zum Anziehen kaufen. So mache ich mich auf den Weg, während sie auf Napirai aufpasst. Die vielen Kleider und Waren in den voll gestopften Läden machen mich unsicher. Ich weiß nicht recht, was zu mir passt, und so kaufe ich mir Leggins, die anscheinend gerade in Mode sind, und einen Pulli dazu. Es kommt mir schrecklich teuer vor. Für das gleiche Geld hätte ich in Kenia mindestens drei oder vier Ziegen kaufen können oder eine wunderschöne Kuh.
Zu Hause präsentiere ich das Gekaufte meiner Mutter, die erschrocken feststellt, dass ich in diesen Leggins unmöglich auf die Straße gehen könne. Ich sei viel zu dünn und wirke in dem Aufzug fast krank. Mein kleiner neu gewonnener Stolz über die hübschen Sachen ist dahin und ich fühle mich sehr hässlich. Erschrocken stelle ich fest, dass ich in dieser »weißen« Welt sehr empfindlich geworden bin. In meiner Welt in Kenia unter den Afrikanern war das ganz anders. Da musste ich alles allein machen und organisieren. Immer deutlicher wird mir bewusst, wie sehr ich mich in den Jahren verändert habe. Hier in Europa vergeht die Zeit schnell und vieles ist für mich neu und unbekannt. In Afrika läuft alles noch gemächlich ab und die Tage erscheinen unendlich viel länger. Was ist nur aus der einst so selbstbewussten Geschäftsfrau geworden? Eine abgemagerte Heimatlose mit einem kleinen Kind, die nicht einmal den Mut hat, sich ihrer Mutter anzuvertrauen!
Nach einer Woche jedoch entscheidet das Schicksal für mich. Wir sind gerade beim Abendessen, als das Telefon klingelt. Meine Mutter nimmt den Anruf entgegen und sagt mehrmals nur »Hallo, ja hallo«, dann legt sie auf. Sie meint, es habe sich so angehört, als sei die Verbindung von weit her gekommen, aber niemand habe sich gemeldet. Mit schweißnassen Händen starre ich meine Mutter ungläubig an. Sie lacht und sagt: »Schau nicht so erschrocken! Es wird sicher dein Mann sein, der sich melden möchte. Freu dich doch!«
Mir wird schlecht vor Aufregung und Angst. Natürlich hatte ich die Telefonnummer dort gelassen. Sophia, meine italienische Freundin, hatte mich darum gebeten. Wenn Lketinga im Shop Probleme hätte, wollte sie mich anrufen, da er noch nie in seinem Leben telefoniert hat. Auch ihr hatte ich nichts erzählt. Niemanden hatte ich über meine Fluchtpläne ins Vertrauen gezogen, aus Sorge, es würde schief gehen. Und jetzt das! Wie gebannt starre ich auf das Telefon, doch im Moment bleibt es stumm. Meine Mutter meint, es sei sicher nichts Schlimmes, ich solle doch weiteressen. Der Appetit ist mir jedoch vergangen. Stattdessen überlege ich fieberhaft, wie ich mich am Telefon verhalten soll. Und schon klingelt es wieder. Ich solle hingehen, fordert mich meine Mutter freudig auf. Aber ich kann mich nicht bewegen. Panisch schaue ich zu, wie sie den Hörer abhebt. Nach einem freudigen »Yes« winkt sie mich ans Telefon. Mechanisch gehe ich hin, halte den Hörer ans Ohr und erkenne sogleich Sophias Stimme. »Hallo, Corinne, how are you? I’m here together with your husband Lketinga. Er möchte unbedingt wissen, wie es seiner Frau und seinem Kind geht und wann ihr zurückkommt nach Kenia. Soll ich ihn dir geben?« »No wait!«, schreie ich in den Hörer. »Ich möchte erst mit dir sprechen. Sophia, was ich dir jetzt sage, ist sehr schwer für Lketinga, für dich, für mich, für alle. Wir kommen nicht zurück! Ich halte es mit meinem eifersüchtigen Ehemann einfach nicht mehr aus. Du hast es ja zum Teil selbst erlebt. Ich konnte es euch vorher nicht sagen,
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