Zurueck Aus Afrika
Möglichkeiten habe, mich besser zu ernähren. Mich machen diese Fragen völlig fertig und noch trauriger. So gebe ich nur mechanische Antworten, die weit von der Wirklichkeit entfernt sind. Auf Grund ihrer fast naiven Unbekümmertheit wird es für mich noch schwerer, die Wahrheit zu sagen.
Meine Freude über das köstliche Essen hält nicht lange an. Nach einer halben Stunde habe ich höllische Magenkrämpfe und liege zusammengekrümmt auf dem Bett. Natürlich hätte ich mit meiner erst vor einem Jahr eingehandelten Hepatitis kein Fett essen sollen und erst recht keine kalte Kühlschrankkost. Schließlich habe ich jahrelang nur einfachste Gerichte aus dem Kochtopf gegessen. Doch angesichts der Möglichkeit, endlich wieder etwas Besonderes zu bekommen, habe ich einfach nicht mehr daran gedacht. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zu übergeben, damit sich mein Magen wieder beruhigt.
Napirai wird von meiner Mutter gebadet, was ihr sehr gefällt. Sie planscht und quietscht vor Vergnügen und bekommt danach zum ersten Mal Pampers-Windeln angezogen. Meine Güte, ist das einfach! Anziehen, voll machen, ausziehen und wegwerfen. Unglaublich toll! Vorbei sind die Zeiten wie die in Nairobi, in denen ich die verkackten Windeln herumschleppen und sie am Abend mit der Hand in kaltem Wasser auswaschen musste, bis mir die Knöchel brannten.
Um acht Uhr bin ich todmüde. In Kenia gingen wir um diese Zeit meistens schlafen, da wir kein elektrisches Licht hatten und es früh dunkel wurde. Ich muss sowieso mit Napirai ins Bett gehen, denn sie ist es nicht gewohnt, allein zu schlafen. In der Manyatta im Hochland schlief sie immer bei mir oder bei der Großmutter und an der Küste zwischen mir und meinem Mann. Das ist für Samburu-Kinder normal. Sie brauchen den Körperkontakt. Im Bett überfallen mich Traurigkeit und auch Zweifel, ob ich das Richtige tue. Leise weinend schlafe ich ein.
Am nächsten Morgen stellt sich die große Frage: Was ziehen wir an? Es ist Oktober und für uns, die wir aus der Wärme Kenias kommen, extrem kalt. Napirai mochte Kleider noch nie und jetzt muss sie sogar Pullover und Jacke anziehen, die meine Mutter besorgt hat. Sie fühlt sich nicht wohl in all den Kleidungsstücken und versucht sie wieder auszuziehen. Doch das geht nicht. Es ist kalt und außerdem läuft man in der Schweiz angezogen herum.
Ein weiteres Problem ist der Hund, denn er scheint uns nicht zu mögen. Er knurrt, bellt und fletscht die Zähne, während er uns sehr genau beobachtet. Napirai hat sich aber schon an ihn gewöhnt und möchte ständig mit ihm spielen. Als Massai-Mädchen kennt sie offenbar keine Furcht. Ich hingegen bin fast hysterisch vor Angst, er könnte Napirai beißen. Während ich in ihm eine echte Gefahr sehe, ist er für meine Mutter und Hanspeter natürlich das liebste Tier und sozusagen Kinderersatz.
Die ersten zwei, drei Tage bin ich nur müde und erschöpft. Ständig denke ich daran, wie es wohl Lketinga gehen mag, so alleine mit dem Shop. Zwar hat er noch William als Hilfe, aber schließlich verstehen sie sich nicht mehr so gut, seit William uns vor einiger Zeit Geld gestohlen hat.
Zur Ablenkung spaziere ich an den folgenden Tagen zu der nahe gelegenen Landwirtschaftsschule und beobachte dort stundenlang die Kühe. Dabei finde ich eine gewisse innere Ruhe und fühle mich mit meiner Schwiegermama »nGogo« sehr verbunden. Wie wird sie reagieren, wenn sie erfährt, dass sie Napirai und mich nicht mehr sehen wird? Nach Samburu-Sitten würde meine Tochter eigentlich ihr gehören. Diese und ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf.
Wenn meine Mutter und Hanspeter abends im Fernsehen Nachrichten anschauen, ziehe ich mich meistens mit Napirai in unser Zimmerchen zurück. All die schrecklichen Bilder vom Golfkrieg und dem Elend in der Welt erschüttern mich und ich kann sie kaum ertragen. Über vier Jahre hatte ich keinerlei Berührung mit Fernsehen oder anderen Medien. Ich lebte in einer Welt wie vor tausend Jahren und nun fühle ich mich von all den Nachrichten und Bildern völlig erschlagen. Doch einmal bleibe ich wie gebannt vor dem Fernseher sitzen. Es läuft eine Reportage über den Mauerfall in Deutschland. Ich kann nicht begreifen, was ich da sehe. Tatsächlich habe ich von diesem Ereignis nichts mitbekommen, obwohl es schon vor einem Jahr stattgefunden hat. Ich kann es kaum fassen! Die Mauer war früher bei uns zu Hause ständig ein Thema, da meine Großeltern väterlicherseits im Osten gelebt
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