Zurück in deine Arme
genügend Zeit …“, erwiderte sie tonlos.
Zeit für was? fragte Leila sich, als Rafael gegangen war. Mir einen neuen Plan zurechtzulegen, wie ich ihm das Unsagbare sagen kann?
Dabei hatte sie nie vorgehabt, die Schwangerschaft und Fehlgeburt vor ihm geheim zu halten. Doch irgendwann war der Point of no Return erreicht, und ihr Kummer und ihre Ängste hatten sich verselbstständigt. Um sich abzulenken und zumindest ein wenig stabil zu bleiben, führte Leila nach ihrer Fehlgeburt ein Ritual ein. Sie gewöhnte sich an, vor jedem Model-Termin ihre Garderobe sehr sorgfältig zu sichten und jede einzelne Einstellung minutiös mit dem Fotografen abzusprechen. Das gaukelte ihr wenigstens in beruflicher Hinsicht ein gewisses Maß an Kontrolle vor.
Inzwischen war sie so privilegiert, nur noch mit einer Handvoll der weltbesten Fotografen arbeiten zu können, die ihren Perfektionswahn akzeptierten und denen es mit viel Einfühlungsvermögen gelang, das Beste aus ihr hervorzuholen.
Daneben gab es auch eine Reihe Modefotografen, die das Supermodel Leila Santiago für eine kapriziöse Diva und einen zickigen Kontrollfreak hielten.
Obwohl sie dieses Fehlurteil traf, musste Leila ihnen das Urteil teilweise zugestehen, wenn sie sich selbst mit kritischem Abstand betrachtete.
Um sich nicht in sinnlosen Grübeleien über all diese Dinge zu verlieren, widmete sie sich in der nächsten Stunde konzentriert ihrem neuen Ablenkungsmanöver und stellte aus der Garderobe, die ihre Agentur in die Suite geliefert hatte, verschiedene Outfits für die nächsten Tage zusammen.
Es war nicht einfach, sich dauerhaft an der Spitze zu halten, besonders in der schnelllebigen Welt der Mode. Ständig wuchsen neue spektakuläre Schönheiten auf der ganzen Welt heran, die nur darauf lauerten, sie von ihrem Thron zu stoßen. Der größte Feind eines jeden Models war die Zeit. Für Frauen, die sich der magischen Grenze von dreißig näherten, tickte die Zeitbombe unerbittlich und zunehmend lauter.
Gerade deshalb war es Leila wichtig, sich voll und ganz auf ihre Karriere zu konzentrieren. Allein der Erlös aus ihrer aktuellen Fotokampagne würde ihrer Klinik für unter Anorexie und Bulimie leidende Mädchen zu einem enormen Schub nach vorn verhelfen. Bisher war ihr Projekt hauptsächlich durch Spenden und Gottvertrauen finanziert worden. Anfangs hatte Leila ihre eigenen Fonds aufgelöst, um das Konzept zu unterstützen, wusste aber, dass die Kapitaldecke auf Dauer nicht ausreichen würde. Sie musste unbedingt weitere Quellen auftun.
Darum war es auch unerlässlich, die einmalige Chance des Worldwide Networking hier in Cannes zu nutzen. Doch so sehr ihr die Klinik zur Herzensangelegenheit geworden war, konnte sie nicht aufhören, an Rafael zu denken.
Einerseits fieberte sie dem Moment entgegen, wenn sie einander endlich in den Armen liegen und sich lieben würden, andererseits schwebten seine letzten Worte immer noch wie das sprichwörtliche Damoklesschwert über ihr: „Ich überlege mir gerade, wie hinreißend du aussehen wirst, wenn du erst schwanger bist.“
Um sich abzulenken, ging Leila zum Schrank, in dem sie ihre persönliche Garderobe unterbringen wollte, und öffnete die Türen. Beim Anblick von Rafaels säuberlich aufgereihter Kleidung musste sie plötzlich gegen aufsteigende Tränen anblinzeln. Viel zu lange war es her, dass ihre Sachen direkt neben seinen gehangen hatten. Oder dass sie beide ein Bett geteilt hatten …
Um ihre zarten Lippen spielte ein wehmütiges Lächeln, während sie fast zaghaft über den Ärmel eines weichen schwarzen Kaschmirpullis strich. Er hing neben zwei eleganten Maßanzügen und mehreren Designerhemden. Als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte Rafael sich gerade mal einen Anzug von der Stange leisten können.
„Na, findet meine Kleiderwahl deine Billigung?“, fragte eine dunkle Stimme in ihrem Rücken.
Immer noch lächelnd drehte sie sich um und fühlte, wie ihr Herz vor Liebe überfloss. Und vor Stolz auf den Mann, der mit nichts gestartet war und sich aus eigener Kraft zu einem der reichsten Geschäftsmänner der Welt hochgearbeitet hatte.
„Oh, ja, ich bin absolut überzeugt von der überragenden Qualität des Materials, dem eleganten Design und dem raffinierten Schnitt deiner Garderobe“, neckte sie ihn, „trotzdem vergesse ich niemals, dass du mein Herz vor vielen Jahren in zerschlissenen Jeans und einem verwaschenen T-Shirt gewonnen hast, das geradezu unverschämt über deiner breiten
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