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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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    Er kam mit einem abgegriffenen Taschenbuch zurück, setzte sich zu ihr ans Bett und räusperte sich:
    »Der ganze Hofstaat – außer Madame d’Étampes natürlich (ich sagen Ihnen gleich, warum) – war sich darin einig, daß sie wunderschön war. Man ahmte ihren Gang, ihre Gesten, ihre Frisuren nach. Sie diente im übrigen dazu, den Schönheitskanon zu bilden, dem sich alle Frauen über hundert Jahre um jeden Preis anzunähern suchten:
    Drei weiße Dinge: die Haut, die Zähne, die Hände.
    Drei schwarze: die Augen, die Brauen, die Wimpern.
    Drei rote: die Lippen, die Wangen, die Fingernägel.
    Drei lange: der Körper, die Haare, die Hände.
    Drei kurze: die Zähne, die Ohren, die Füße.
    Drei schmale: der Mund, die Taille, der Knöchel.
    Drei dicke: die Arme, die Oberschenkel, die Waden.
    Drei kleine: die Brustwarze, die Nase, der Kopf.
    Das ist schön gesagt, nicht wahr?«
     
    »Und Sie finden, ich würde ihr ähneln?«
    »Ja, das heißt, in manchen Punkten.«
    Er war rot wie eine Tomate.
    »Ni… nicht in allen natürlich, aber wissen S… Sie, es ist eine Frage des Auftretens, der An… Anmut, der … der …«
    »Haben Sie mir die Kleider ausgezogen?«
     
    Seine Brille war ihr in den Schoß gefallen, und er fing an zu sto… stottern wie nie zuvor.
    »Ich … ich … Ja, na ja, ich … ich … Ganz keu… keusch, ich schwö… schwöre es Ihnen, ich habe Sie zu… zuerst zuge… zugedeckt, ich …«
    Sie hielt ihm die Brille hin.
    »He, ganz ruhig, regen Sie sich nicht so auf! Ich wollte es nur wissen, mehr nicht … Hm … ar denn der andere dabei?«
    »W… wer denn?«
    »Der Koch.«
    »Nein. Natürlich nicht, ich bitte Sie …«
    »Das ist mir auch lieber so. Aaaah! Ich habe solche Kopfschmerzen.«
    »Ich gehe jetzt zur Apotheke. Brauchen Sie noch etwas anderes?«
    »Nein. Danke.«
    »Sehr schön. Ach so, das muß ich Ihnen noch sagen. Wir haben hier kein Telefon. Aber wenn Sie jemanden anrufen wollen, Franck hat in seinem Zimmer ein Handy und …«
    »Ist okay, danke. Ich habe auch ein Handy. Ich muß nur mein Netzgerät von oben holen.«
    »Das kann ich für Sie erledigen, wenn Sie wollen.«
    »Nein, nein, das kann warten.«
    »Meinetwegen.«
    »Philibert?«
    »Ja?«
    »Danke.«
    »Nicht doch.«
    Er stand vor ihr, mit der zu kurzen Hose, der zu engen Jacke und den zu langen Ärmeln.
    »Es ist das erste Mal seit langem, daß sich jemand so um mich kümmert.«
    »Nicht doch.«
    »Doch, das stimmt. Ich meine … ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Denn Sie … Sie erwarten keine Gegenleistung, oder?«
    Er war empört:
    »Aber nein, was d… denken Sie sich n… nur?«
    Sie hatte schon wieder die Augen geschlossen.
    »Ich denke mir gar nichts, ich sage es bloß: Ich habe nichts zu vergeben.«
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    25
     
     
     
    Sie wußte nicht mehr, welcher Tag heute war. Samstag? Sonntag? Sie hatte seit Jahren nicht mehr so viel geschlafen.
    Philibert war gerade dagewesen, um ihr einen Teller Suppe anzubieten.
    »Ich stehe auf. Ich werde mich zu Ihnen in die Küche setzen.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja doch! Ich bin schließlich nicht aus Zucker!«
    »Einverstanden, aber kommen Sie nicht in die Küche, dort ist es zu kalt. Warten Sie lieber im blauen Salon auf mich.«
    »Pardon?«
    »Ach ja, es ist wahr. Was bin ich dumm! Er ist heute nicht mehr wirklich blau, seit er leer steht. Das Zimmer zur Diele hin, wissen Sie?«
    »In dem das Kanapee steht?«
    »Oh, Kanapee ist etwas übertrieben. Franck hat es eines Abends auf der Straße gefunden und mit einem seiner Freunde hier hochgetragen. Es ist sehr häßlich, aber bequem, wie ich zugeben muß.«
    »Sagen Sie, Philibert, was ist das hier für eine Wohnung? Wem gehört sie eigentlich? Und warum wohnen Sie hier wie ein Hausbesetzer?«
    »Pardon?«
    »Als würden Sie nur vorübergehend hier wohnen?«
    »Ach, das ist eine üble Erbschaftsgeschichte, leider. Wie es sie überall gibt. Sogar in den besten Familien, wissen Sie?«
    Er wirkte aufrichtig verstimmt.
    »Das hier ist die Wohnung meiner Großmutter mütterlicherseits, die letztes Jahr verstorben ist, und in Erwartung der Erbschaftsregelung hat mich mein Vater gebeten, mich hier einzuquartieren, um zu verhindern, daß die … Wie sagten Sie noch?«
    »Die Hausbesetzer?«
    »Genau, die Hausbesetzer! Aber nicht diese Drogenabhängigen mit Sicherheitsnadeln in der Nase, nein, sondern Leute, die viel besser angezogen und

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