Zwanghafte Gier
Gegenwart angenehm genug gewesen war, hatte sie das nicht davon abgehalten, manchmal über die Zukunft zu sprechen: über ein eigenes Haus, über den Aga, über Kinder und über Hunde.
Und dann, eines Montagmorgens im Frühling, hatte Suzy Matt zu einem Radiointerview abgeholt, das sie für ihn bei LBC arrangiert hatte. Auf Streatham Hill war ihnen ein Lastwagen entgegengekommen. Plötzlich war dem Laster ein Reifen geplatzt. Der Fahrer hatte die Kontrolle verloren und war frontal in Suzys Wagen gerast. Matt war bei seiner Einlieferung ins King’s College Hospital für tot erklärt worden, und als Alex Suzy später am Tag auf der Intensivstation gesehen hatte, hatte sie ihre Schwägerin und beste Freundin fast nicht wiedererkannt. An diesem Tag hatte die Welt, wie Alex sie kannte, aufgehört zu existieren.
Der blaue Aga stand in der Küche, in die er eigentlich gar nicht passte, weder von seiner Größe noch vom Stil her. Er stand in der kleinen Wohnung über dem Café Jardin – ein nutzloser Staubfänger, denn als die Handwerker gekommen waren, um den Herd anzuschließen, hatte Alex sie weggeschickt. Als sie den Herd gekauft hatte, war es eine trotzige Demonstration ihrer alles überdauernden Liebe gewesen, ein Versuch, eine feste und sichtbare Brücke zwischen ihrem alten und neuen Leben zu schlagen. Doch nur wenige Tage später hatte die Erkenntnis, wie hoffnungslos diese Geste war, sie mit voller Wucht getroffen. Ohne Matt, der den Aga hätte benutzen können, war der Herd nicht nur sinnlos, sondern eine zusätzliche grausame Erinnerung an ihren schmerzlichen Verlust.
Doch Alex hatte ohnehin keinen Appetit. Sie aß selten, und wenn, dann nur das Wenige, das sie herunterbekam und bei sich behalten konnte – gerade genug zum Überleben. Bohnen, Toast und gelegentlich ein gekochtes Ei. Nichts, wofür sie den Aga hätte anheizen müssen.
Suzys Verletzungen waren schwer gewesen, die Behandlung langwierig. Die Gesichtsverletzungen, die Alex und Lyn Perry – Suzys und Matts Tante, die aus Florida hergeflogen war – anfangs den größten Kummer bereitet hatten, waren jedoch das geringste Problem gewesen. Die meisten Wunden waren Schnitte, Schürfwunden und Blutergüsse, die man leicht nähen oder auf natürliche Art abheilen lassen konnte. Suzys Beine und das Becken waren viel schwerer geschädigt. Wenn sie sich so weit von ihren Kopfwunden erholt hatte, dass sie die anderen Verletzungen spüren konnte, würden sie ihr für längere Zeit beträchtliche Schmerzen bereiten. Dementsprechend lange würde der Heilungsprozess dauern, und der Chirurg hatte sich geweigert, verbindliche Aussagen zu Dauer und Erfolg der Behandlung zu machen.
»Suzy wird wieder gehen können, egal was die Ärzte sagen«, hatten sowohl Alex als auch Tante Lyn erklärt, obwohl beide sich bewusst gewesen waren, wie unrealistisch dieser Gedanke war, doch die Vorstellung, dass die lebhafte, energiegeladene Suzy für den Rest ihres Lebens im Rollstuhl sitzen musste, war unerträglich für sie gewesen.
Allerdings nicht so unerträglich wie einige der Alternativen.
Zum Beispiel, dass Suzy im Koma blieb.
Oder dass ihr Gehirn einen bleibenden Schaden davongetragen hatte.
»Das wird nicht geschehen«, hatte Alex Tante Lyn schon frühzeitig und mit aller Bestimmtheit erklärt.
»Das können wir noch nicht mit Sicherheit sagen, Liebes«, hatte Lyn erwidert.
»Ich schon«, hatte Alex ihr widersprochen. »Ich schon!«
Das war die einzige Leidenschaft, die sie sich in jenen frühen Tagen erlaubt hatte. Denn hätte sie zugelassen, mehr zu empfinden ... Gott wusste, dass die Qual in ihrem Innern keinen Platz für etwas anderes ließ, und hätte sie diesen Gefühlen freien Lauf gelassen, wäre sie in eine Million Teile zersprungen.
Was sie begrüßt hätte, wäre da nicht Suzy gewesen, die an lebenserhaltenden Maschinen hing und im Koma noch gar nicht wusste, wie viel Liebe, Geduld und Pflege sie brauchen würde.
Suzy, die noch nicht wusste, dass Matt gestorben war.
Suzy, die nun keinen Menschen mehr hatte außer Alex und Tante Lyn. Letztere hatte allerdings einen Mann, zwei Kinder und ein Geschäft in Fort Lauderdale.
»Wenn sie sich gut genug erholt hat«, hatte Lyn gesagt, »kann sie vielleicht zu uns rüberfliegen.«
»Wenn sie sich gut genug erholt hat«, hatte Alex entgegnet, »würde ich nicht darauf wetten, dass sie das will.«
»Ich weiß«, hatte Lyn erwidert. Sie war nicht beleidigt. Sie wusste so gut wie Alex, dass Suzy es erst vor
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