Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer
nahm mir vor, ihn nicht wieder hinabgehen zu lassen, ohne ihn wenigstens über seine weiteren Pläne ausgeforscht zu haben. Er kam, sowie er mich bemerkte, gleich auf mich zu, bot mir freundlich eine Cigarre an, und sprach zu mir:
»Nun, Herr Professor, gefällt Ihnen dieses Rothe Meer? Haben Sie seine Wunder schon recht beobachtet, seine Fische und Zoophyten, Schwämme und Korallenwälder? Haben Sie auch die Städte an seinen Ufern angesehen?
– Ja, Kapitän Nemo, erwiderte ich, und der Nautilus hat sich diesem Studium zum Erstaunen willig gezeigt. Ach! es ist ein verständiges Fahrzeug.
– Ja, mein Herr, verständig, kühn und unverwundbar! Es scheut weder die fürchterlichen Stürme des Rothen Meeres, noch seine Strömungen, noch seine Klippen.
– In der That, sagte ich, ist dieses Meer als sehr schlimm verrufen, und irre ich nicht, im Alterthum als abscheulich.
– Ja wohl, Herr Arronax. Die griechischen und lateinischen Geschichtschreiber reden nicht günstig von ihm. Der arabische Historiker Edrisi, der es unter der Benennung Golf von Colzun schildert, berichtet, es gingen zahlreiche Schiffe auf seinen Sandbänken zu Grunde, und Niemand wage bei Nacht darauf zu fahren. Dies Meer ist, behauptet er, von erschrecklichen Stürmen heimgesucht, mit ungastlichen Inseln bedeckt, und hat nichts Gutes an sich, weder in der Tiefe, noch an der Oberfläche. Und wirklich, so wird es von Arrian, Agatharchides und Artemidorus geschildert.
– Man sieht wohl, erwiderte ich, daß diese Historiker nicht an Bord des Nautilus gefahren sind.
– Allerdings, versetzte lächelnd der Kapitän, und in dieser Hinsicht sind die modernen Schriftsteller nicht weiter, als die alten. Viele Jahrhunderte hat’s gedauert, bis man die mechanische Kraft des Dampfes fand! Wer weiß, ob binnen hundert Jahren ein zweiter Nautilus zu sehen sein wird! Die Welt macht ihre Fortschritte langsam, Herr Arronax.
– Sie haben Recht, erwiderte ich, Ihr Schiff ist ein Jahrhundert, mehrere vielleicht, seiner Zeit zuvor gekommen. Um so mehr schade, wenn ein solches Geheimniß mit seinem Erfinder wieder untergehen soll!«
Der Kapitän Nemo blieb die Antwort schuldig. Nach einer Pause von einigen Minuten sagte er:
»Sie sprachen mir von der Ansicht der alten Historiker über die Gefahren der Schifffahrt auf dem Rothen Meere?
– So ist’s, erwiderte ich, aber waren ihre Befürchtungen nicht übertrieben?
– Ja und Nein, Herr Arronax, versetzte der Kapitän Nemo, der sein Rothes Meer gründlich zu kennen schien. Was für ein modernes, solid gebautes, wohl eingerichtetes Schiff, das Dank der willfährigen Dampfkraft seiner Leitung Meister, nicht mehr gefährlich ist, bot den Fahrzeugen der Alten Gefahren aller Art dar. Man denke nur, wie mangelhaft die Barken, worauf die ersten Seefahrer sich wagten, beschaffen waren, aus Brettern mit Stricken zusammengebunden, mit gestampftem Harz alfatert und mit Seehundsfell überzogen. Sie besaßen nicht einmal Instrumente, um ihre Richtung aufzunehmen, und sie fuhren nach Gutdünken mitten durch Strömungen, von denen sie kaum etwas wußten. Unter solchen Verhältnissen fielen nothwendig zahlreiche Schiffbrüche vor. Aber heut zu Tage haben die Dampfboote, welche zwischen Suez und den südlichen Meeren fahren, von der Wuth dieses Golfs, trotz widriger Passatwinde, nichts mehr zu fürchten.
– Ich bin einverstanden, sagte ich, und der Dampf scheint mir die Dankbarkeit in den Herzen der Seeleute erstickt zu haben. Doch, Kapitän, da Sie dieses Meer so genau studirt haben, können Sie mir wohl auch sagen, woher die Benennung ›Rothes‹ Meer kommt? Denn die Angabe, daß nachdem Pharao darin umgekommen, es so benannt worden sei, befriedigt mich nicht.
– Meine persönliche Ansicht, Herr Arronax, will ich Ihnen sagen. Der Name enthält eine Uebersetzung des hebräischen Wortes ›Edrom‹, und die Alten haben ihm denselben wegen der besonderen Färbung seiner Gewässer gegeben.
– Bis jetzt habe ich aber doch nur klare Wellen ohne irgend besondere Färbung gesehen.
– Allerdings, aber wenn wir weiter in den Golf hinein kommen, werden Sie diesen besonderen Schein erkennen. Ich erinnere mich, die Bai von Tor völlig roth, wie einen Blutsee gesehen zu haben.
– Und diese Farbe ist wohl einer mikroskopischen Pflanze zuzuschreiben?
– Ja wohl. Es ist ein schleimiger, purpurfarbener Stoff, der von jenen kleinen Pflänzchen, Trichodesmion genannt, herrührt, von welchen vierzigtausend den Raum eines
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