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Gregor und die graue Prophezeiung

Gregor und die graue Prophezeiung

Titel: Gregor und die graue Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Collins
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1. Kapitel
    G regor hatte die Stirn so lange gegen das Fliegengitter gedrückt, dass er das Muster der winzigen Quadrate über den Augenbrauen spürte. Er strich mit den Fingern über die Unebenheiten und widerstand der Versuchung, den Höhlenmenschenschrei auszustoßen, der sich in seiner Brust angestaut hatte. Es war ein langes gutturales Heulen, das für echte Notfälle reserviert war – wenn man zum Beispiel ohne Keule einem Säbelzahntiger in die Arme lief oder wenn einem mitten in der Eiszeit das Feuer ausging. Gregor machte den Mund auf und atmete tief ein, aber dann schlug er wieder nur mit dem Kopf gegen das Fliegengitter und ließ leise einen Frustlaut heraus. »Umpf.«
    Schreien würde ja sowieso nichts ändern. Rein gar nichts. Nichts an der Hitze, nichts an der Langeweile, nichts an dem endlosen Sommer, der vor ihm lag.
    Er überlegte, ob er seine zweijährige Schwester Boots wecken sollte, nur um ein bisschen Ablenkung zu haben, aber er ließ sie schlafen. Sie hatte es wenigstens kühl in dem klimatisierten Schlafzimmer, das sie sich mit ihrer siebenjährigen Schwester Lizzie und der Großmutter teilte. Es war der einzige klimatisierte Raum in der Wohnung. In den ganz heißen Nächten legten sich Gregor und seine Mutter manchmal mit Steppdecken auf den Fußboden dazu, aber mit fünf Leuten in einem Zimmer war es nicht kühl, höchstens lauwarm.
    Gregor nahm einen Eiswürfel aus dem Gefrierschrank und rieb sich damit übers Gesicht. Er starrte hinaus auf den Hof, wo ein streunender Hund an einer überquellenden Mülltonne schnüffelte. Der Hund stellte sich mit den Vorderpfoten auf den Rand der Mülltonne und warf sie um. Der Inhalt ergoss sich quer über den Gehweg. Gregor sah ein paar Schatten über die Wand huschen und verzog das Gesicht. Ratten. An die hatte er sich immer noch nicht richtig gewöhnt.
    Ansonsten war der Hof verlassen. Normalerweise waren da lauter Kinder, die Ball spielten, Seil hüpften oder in den quietschenden Klettergerüsten hingen. Aber heute Morgen war der Bus zum Ferienlager abgefahren und hatte alle Kinder zwischen vier und vierzehn mitgenommen. Alle bis auf eins.
    »Tut mir Leid, Schatz, du kannst nicht mit«, hatte seine Mutter ihm vor ein paar Wochen gesagt. Und er hatte ihrangesehen, dass es ihr wirklich Leid tat. »Einer muss auf Boots aufpassen, wenn ich arbeite, und du weißt ja, dass deine Großmutter das nicht mehr schafft.«
    Natürlich wusste er das. Seit einem Jahr passierte es immer mal wieder, dass seine Großmutter aus der Wirklichkeit rutschte. Im einen Moment war sie glasklar und im nächsten Moment nannte sie ihn plötzlich Simon. Wer war Simon? Er hatte keine Ahnung.
    Vor ein paar Jahren wäre alles anders gewesen. Damals hatte seine Mutter nur Teilzeit gearbeitet, und sein Vater, der an der Highschool Naturwissenschaften unterrichtete, hatte im Sommer frei. Er hätte sich um Boots gekümmert. Doch seit sein Vater eines Nachts verschwunden war, hatte sich Gregors Rolle in der Familie verändert. Er war der Älteste, also blieb vieles an ihm hängen – nicht zuletzt, sich um die beiden kleinen Schwestern zu kümmern.
    Also hatte Gregor nur gesagt: »Ist schon gut, Mom. Ferienlager ist sowieso was für Babys.« Er zuckte die Schultern, um zu zeigen, dass er mit seinen elf Jahren über so etwas wie ein Ferienlager hinaus war. Aber da hatte seine Mutter nur noch trauriger ausgesehen.
    »Soll Lizzie auch dableiben? Damit du ein bisschen Gesellschaft hast?«, fragte sie.
    Lizzie sah entsetzt aus, als sie das hörte. Hätte Gregor das Angebot angenommen, wäre sie wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen. »Nee, sie kann ruhig fahren. Ich komme mit Boots schon klar.«
    Da stand er jetzt also. Und kam überhaupt nicht klar. Kam nicht klar damit, dass er den ganzen Sommer mit einer Zweijährigen und seiner Großmutter eingesperrt war, die dachte, er sei jemand namens …
    »Simon!«, rief seine Großmutter aus dem Schlafzimmer. Gregor schüttelte den Kopf, ein wenig lächeln musste er trotzdem.
    »Ich komme, Oma!«, rief er und zerknirschte den restlichen Eiswürfel mit den Zähnen.
    Das Zimmer war von einem goldenen Leuchten erfüllt, als die Nachmittagssonne versuchte sich durch die Jalousien zu zwängen. Seine Großmutter lag auf dem Bett unter einer Patchworkdecke aus dünner Baumwolle. Alle Flicken der Decke stammten von Kleidern, die sie sich im Laufe der Jahre geschneidert hatte. In ihren lichteren Momenten erzählte sie Gregor von der Decke. »Diesen

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