Zwei Einzelzimmer, bitte!: Mit Kluftinger durch Deutschland
ziemlich lächerlichen Dreiviertelshorts den Frühstücksraum. Er verstand diese Hosen nicht: Sie waren weder lang noch kurz. In seiner Jugend wäre man für so ein Beinkleid verhauen worden. Und das nicht nur, weil damals alle uniform in Allround-Lederhosen steckten. Heute wollte man den Leuten weismachen, dass es sich bei diesen Zwischendrin-Hosen um Mode handelte. Für wen? Für Menschen, die sich nicht entscheiden konnten? Klar, manchmal war auch er sich nicht sicher, ob er den Lodenmantel anziehen sollte oder ob doch der Trachtenjanker ausreichte. Der Entschluss, eine kurze Hose anzuziehen oder nicht, fiel ihm dagegen denkbar leicht: Er besaß gar kein solches Kleidungsstück. Seitdem ihn Markus vor ein paar Jahren beim Rasenmähen in seiner letzten Jeansshorts aus den Achtzigern gesehen hatte und ihn daraufhin fragte, ob er denn für Hotpants nicht ein wenig zu alt sei, hatte er die kurzen Hosen samt und sonders ausgemustert und hielt sich seitdem an einen Grundsatz seines Vaters. Der hatte immer gesagt, dass Männerbeine dazu bestimmt seien, auf der Jagd zu rennen, allerdings der nach Tieren, nicht der nach Frauen. Kluftinger senior trug daher allenfalls Bundhosen aus Cord oder Leder mit den dazugehörigen Wadenstrümpfen, und so tat es Kluftinger von nun an ebenfalls.
Menschen in Dreiviertelhosen war also jede Schlechtigkeit zuzutrauen. Der Mann, der sich jetzt über das karge Buffet hermachte, war also mit ziemlicher Sicherheit der Gesuchte.
Wer sollte es auch sonst sein? Etwa das Damenduo in den Siebzigern, das sich am Nebentisch lautstark über Verdauungsprobleme und deren Lösung mittels Leinsamen unterhielt?
Schon eher das irgendwie grau wirkende Paar gegenüber, das sich jeden Morgen eine geschlagene Stunde lang anschwieg, stoisch eine Semmel nach der anderen in sich hineinschlang, um sich danach vier davon in Servietten einzupacken, bevor es in Richtung Ausgang schlurfte, sicher einem überaus fröhlichen Tag entgegen? Kluftinger hatte den Mann, dessen Schultern etwa so freudlos herunterhingen wie seine Mundwinkel, für sich Heinz-Günther getauft, auch wenn er damit all den lebenslustigen Heinz-Günthers vielleicht Unrecht tat. Jedenfalls hätten diese beiden mit ihrem Schleichgang leicht unbemerkt in das Zimmer neben seinem hinein- und wieder herauskommen und somit für das schreckliche nächtliche Szenario verantwortlich sein können. Was immer dort vorging, wer oder was auch immer daran beteiligt war, er musste es herausfinden. Warum hatte er nie eine Putzfrau dort hineingehen sehen, warum war nie ein Fenster offen, nur eben nachts, und warum brannte nie Licht?
Oder war es gar die Mittsechzigerin, die nebst braun gebranntem Freund – gut und gerne fünfzehn Jahre jünger – jeden Morgen in Radlerklamotten erschien und sich lautstark über den fehlenden Parmaschinken beschwerte, um dann den ganzen Tag in ihrem Sportdress auf der Liege im Garten zu fläzen und auf die Rückkehr ihres »Botho-Herzchens« zu warten?
Wenn er sich die Gäste hier so betrachtete, fragte er sich schon, ob er nicht einmal Erika nachgeben und seinen Urlaub von Südtirol in eine Region mit etwas weniger betagten Reisenden verlegen sollte. Nordsüdtirol vielleicht oder gleich einfach nur Tirol. Aber ob es dort besser war? Vielleicht würde auch schon der Wechsel aus der Frühstückspension Rosa in ein Zweisternehotel helfen. Andererseits kannte man ja gerade von Luxushotels die schlimmsten Geschichten: Diebesbanden, die nachts in die Zimmer einstiegen, brutale Morde samt abgeschnittener Finger, um an die Ringe zu kommen, Entführungen …
»Gehen wir jetzt heut mal wandern?«, unterbrach Erika seine Überlegungen.
»Schon wieder? Wir waren doch erst …« Er dachte nach, kam aber nicht auf den genauen Tag, »… neulich!«
»Vor sechs Tagen, um genau zu sein.«
Kluftinger schluckte, das war für einen Aufenthalt in einem Wanderhotel wirklich keine gute Quote.
»Weißt du, ich kenn mittlerweile die Boutiquen hier im Dorf in- und auswendig«, fuhr sie fort, »und ich fahr doch nicht in den Urlaub, um nur dauernd auf dem Bett rumzuliegen und zu lesen oder zu dösen! Und immer bin ich bloß allein unterwegs. Wenn das so ist, dann können wir auch gleich wieder heimfahren, da hab ich wenigstens was zu tun!«
Sollte er ihr endlich sagen, was ihn so beschäftigte? Ihr den Grund nennen, weshalb er morgens nicht aus dem Bett kam und abends nicht einschlafen konnte? Worum sich seine Gedanken den ganzen Tag drehten? Nein, er
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