Zwei Esel Auf Sardinien
Naturbegabung? In aller Seelenruhe stopft unsere Eselflüsterin das Tier nun mit Möhren und Äpfeln voll. Na, vielleicht hat sie nach so ein bisschen »Eselei« wieder gute Laune? Und genauso ist es. Ein unvermuteter Eselsschrei – und sie lächelt wieder.
Claudio behauptet, Sarden seien ein ganz besonderes Volk. Bei den vielen Besetzungen der Insel hätten sie von den Arabern die durchdringend blickenden Augen mitbekommen, von den Spaniern den mediterranen Teint und von den Römern den Stolz. Selbstverständlich habe es auch mit der Ernährung zu tun, denn Sardinien sei eine der Regionen mit der meisten ökologischen Landwirtschaft. Außerdem spiele der Lebensstil eine Rolle. Die wenigsten Menschen gingen einer sitzenden Tätigkeit nach; er zum Beispiel sei ständig auf den Beinen, gehe mit den Schafen auf die Weide, arbeite im Garten, ernte Obst mit der Hand und melke von morgens bis abends die Ziegen. Und zuletzt sei da noch der Humor. »Sarden gelten als ungehobelt, aber wer sie kennt, weiß, dass das nicht stimmt. Sie sind fröhliche Menschen und sehr gesellig.«
Als wir in den Garten zu den Olivenbäumen zurückkehren und es plötzlich köstlich nach Essen duftet, ist alles Unglück vergessen – das lange Warten am Flughafenterminal, der Streik, die zu niedrigen Milchpreise und das fehlende Gepäck. O ja, wir haben Hunger, und wie!! Schon bald sitzen wir an einem schönen, reichlich gedeckten Tisch, auf dem Pan Carasau bereitsteht, das typische sardische Brot, das man auch unter dem italienischen Namen Carta musica kennt, weil es so besonders dünn und knusprig ist. Daneben ein Fläschchen mit Öl, Brotfladen aus Hartweizengrieß, und Schmalz, Wurst und Ricotta sind auf Korkplatten angerichtet. In der Mitte des Tisches steht eine große Schüssel mit dampfenden Spaghetti. Claudio betont, dass er sie höchstpersönlich mit bottarga di muggine , dem getrockneten Rogen der Meeräsche, zubereitet hat, eine Spezialität, die auch »Kaviar des Mittelmeers« genannt wird.
Anna möchte, dass ich unbedingt vom casu marzu probiere, einem Käse mit lebenden Maden drin!!! Natürlich graust es mich allein schon bei der Vorstellung. Der Käse, ein reifer, pikanter Pecorino, entsteht auf ganz natürliche Weise durch die sogenannte Käsefliege. Dieses Insekt schenkt zahlreichen Maden das Leben, indem es seine Eier in der Käseform ablegt, und diese ernähren sich dann vom Käse und wandeln ihn durch ihre Verdauungssäfte um. Als Anna mein angewidertes Gesicht bemerkt, weist sie mich mit Nachdruck darauf hin, dass er keineswegs schädlich, sondern im Gegenteil ein reines Naturprodukt sei, im Gegensatz zu vielen industriell hergestellten Käsesorten. Bestimmt hat sie recht, aber ich ziehe die Pasta hier vor und freue mich schon, dass meine Kiefer ordentlich zu tun bekommen.
»Bruno hat mir erzählt, dass ihr hier auf Sardinien ein Nationalgericht habt – ›Schaf im Mantel‹. Was genau ist das?«, fragt Jutta.
»Das ist unser spezieller Schmortopf. Normalerweise ist Schaf ein wenig zäh, aber wenn man es schmort, wird es zarter. In den Topf geben wir die Kartoffeln, die in der Schale gekocht werden, mit einer großen Menge Zwiebeln, die sie bedecken, also der Mantel sind.«
»Ich liebe Zwiebeln, die essen wir in Deutschland ständig. Aber dein neuer Freund hier mag sie gar nicht …«
»Bruno! Du isst keine Zwiebeln? Was muss ich da hören?«
»Tut mir leid, ich vertrage sie nicht. Weder Zwiebeln noch Sauerkraut.«
»Und da musstest du dir ausgerechnet eine Deutsche suchen?«
»Bei ihr kann ich alles essen. Gulasch, Bratwurst, sogar Krapfen, weißt du, das sind diese frittierten Teigballen, die wir auch in Italien essen. Aber Zwiebeln, nein, es gibt Grenzen. Ganz zu schweigen von Zwiebelkuchen. Wenn sie den macht, bekomme ich allein vom Anblick Magenkrämpfe! Dann schon lieber Nürnberger Rostbratwürstchen.«
»Ja, das muss man schon mögen«, kommentiert Claudio .
»Und der Wein, ist der auch von hier?« Wieder Jutta.
Claudio nickt. »Er heißt Nuraghe, wie die Steintürme, die man auf dem Weg nach Gesturi sehen kann. Wenn ihr unterwegs in einem Ort namens Su Nuraxi haltmacht, könnt ihr den bedeutendsten und schönsten Nuraghe Sardiniens besichtigen. Diese Bauten sollen bis ins Jahr 1600 vor Christus zurückgehen, es sind etwa siebentausend mehr oder weniger erhaltene Türme, und sie sind das Wahrzeichen unserer alten Kultur. Mein Bruder besitzt in Ussana, etwa drei Kilometer von hier, einen eigenen
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