Zwei Maenner fuer Miss Darcy
mir wirklich die Mühe machen sollen, sie hier zu besuchen. Schließlich waren wir nicht im Streit auseinandergegangen; wir hatten uns nur auseinandergelebt. Nein, das zu behaupten wäre unfair: Ich hatte zugelassen, dass wir uns auseinandergelebt hatten.
»Entschuldigen Sie bitte?«
Ich drehe mich um, und neben mir steht ein schlanker, elegant gekleideter junger Mann mit Anzug und Krawatte. »Habe ich es mit Miss McCall zu tun?«
»Ja, das haben Sie.«
»Miss Darcy McCall?«
»Ja.«
Erleichtert schaut er mich an. »Oh, sehr gut. Dann erlauben Sie mir bitte, mich Ihnen vorzustellen.« Er streckt mir seine Hand entgegen. »Niall Kearney. Stets zu Ihren Diensten, Miss McCall.«
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Mr Kearney.« Zögernd erwidere ich seinen Händedruck.
Er nickt.
Ich lächele und hoffe, dass ihn das dazu bringt weiterzureden.
»Entschuldigung, natürlich sagt Ihnen der Name nichts, nicht wahr?« Er greift in seine Jacketttasche und holt eine Visitenkarte hervor. »Hier ist meine Karte. Mein Vater, Patrick Kearney, war viele Jahre lang der Anwalt und Freund Ihrer Tante. Er bedauert es zutiefst, dass er heute nicht hier sein kann, doch leider geht es ihm im Augenblick nicht allzu gut, und deshalb vertrete ich die Kanzlei in seinem Namen.« Während er mich stolz darüber informiert, strafft er die schmalen Schultern in seinem Jackett, das ihm ein bisschen zu groß ist.
»Ich verstehe.« Einen Moment lang starre ich auf die Karte. »Aber wie kann ich Ihnen behilflich sein, Mr Kearney?«
Verstohlen schaut sich der Mann nach allen Seiten um, bevor er sich zu mir vorbeugt. »Zuallererst, Miss McCall«, flüstert er, »muss ich darauf bestehen, dass Sie mich Niall nennen. Ich mag vielleicht Anwalt sein, aber mir gefällt der etwas persönlichere Umgang miteinander besser.« Wieder sieht er sich verstohlen um. »Aber wir sollten zuerst einen etwas privateren Ort aufsuchen, um unsere Unterhaltung fortzusetzen.«
»Ich bin nicht sicher, ob …« Ich zögere wieder; dieser Typ kommt mir ziemlich seltsam vor.
»Es ist nur …« Er lässt den Blick um sich schweifen und deutet mir an, das Gleiche zu tun. Und tatsächlich: Obwohl alle anderen in diesem Zimmer so tun, als würden sie ihren Tee trinken und wären in die Unterhaltungen mit ihren Gesprächspartnern vertieft, wandern ihre Blicke immer wieder rasch zu uns, bevor sie ebenso rasch wieder wegschauen. Ohren werden definitiv in unsere Richtung geneigt und Hörgeräte angepasst, während Niall und ich unbeholfen in der gegenüberliegenden Ecke der Küche beisammenstehen. »Was ich zu sagen habe, ist recht delikater Natur. Ich möchte nur ungern, dass das innerhalb von zehn Minuten die Runde in der Küche und im ganzen Dorf macht.«
»Vielleicht sollten wir uns dann wirklich an ein ruhigeres Plätzchen zurückziehen.« Suchend schaue ich mich um. »Wie wäre es, wenn wir nach draußen gehen?«, schlage ich vor, als mein Blick durch das Küchenfenster auf Tante Mollys Garten fällt. »Ich bezweifle, dass sich dort heute irgendwer aufhält – dafür ist es einfach viel zu kalt.«
Ich ziehe mir meinen dunkelgrauen Mantel im Military-Look an und freue mich insgeheim, ihn noch einmal tragen zu können. Dieses Juwel von Vivienne Westwood habe ich erst kürzlich online erstanden – ein Glücksgriff mit einem Rabatt von fünfundsiebzig Prozent. Ich hatte hin und her überlegt, ob ich ihn kaufen sollte, doch an diesem eiskalten Januartag ist der Mantel seinen Preis wirklich allemal wert.
Um nicht noch mehr Misstrauen und Argwohn zu erregen, flüchten wir nacheinander in den Garten. Als ich nach draußen trete, schlägt mir die frostige Luft entgegen, und ein starker Wind weht mir die langen Haare von der Schulter ins Gesicht.
Blöder Wind! Von allem, was das Wetter so zu bieten hat, hasse ich den Wind wirklich abgrundtief. Er greift mich immer dann an, wenn ich das Haar gerade frisch frisiert habe – mein langes blondes Haar, mühevoll geglättet bis zum Gehtnichtmehr. Sobald ich den ersten Schritt vor die Tür setze, liegt oben im Himmel schon eine starke Windböe auf der Lauer, wie man es von Zeichnungen in Kinderbüchern kennt. Die Böe grinst boshaft zu mir herunter, bevor sie dann zu ihrer Attacke auf meine Frisur ansetzt. Bei Regen kann man sich ja wenigstens noch mit einem Schirm zur Wehr setzen. Aber Wind verhindert jegliche Schutzmaßnahme dieser Art und ist darum das deutlich größere Übel.
Die freie Natur und ich sind im Januar nicht
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