Zwei Maenner fuer Miss Darcy
1
B eerdigungen haben mir schon immer gefallen.
Sie haben eine so beruhigende Gewissheit an sich.
Ganz anders als Hochzeiten. Denn ganz egal, wie schön sie sind, wie viel Hoffnung und Euphorie sie für die Zukunft ausstrahlen, so nagt an mir doch immer der leichte Zweifel, ob das glückliche Paar wohl in ein paar Jahren immer noch zusammen sein wird. Oder ob es vielleicht schon die Scheidung einreicht und exorbitante Anwaltskosten zahlt, um sich um eines der hinreißenden, aber sehr teuren Hochzeitsgeschenke zu streiten, die noch geduldig darauf warten, ausgepackt zu werden.
Taufen gehören für mich mehr oder weniger in die gleiche Kategorie. Oft ertappe ich mich nämlich bei der Frage, ob dieses Kind wirklich an seinem Glauben festhält, wenn er oder sie achtzehn wird und von den fleischlichen Verlockungen in Versuchung geführt wird. Insbesondere dann, wenn man feststellen muss, dass der eine Pate noch am Taufbecken bei Twitter seinen Status auf den neusten Stand bringt, während die andere Patin ihr Spiegelbild im Weihwasser überprüft.
Aber das ist nur meine Sicht der Dinge; ich weiß eben gern, was als Nächstes passiert. Allzeit bereit – ich halte mich da ganz an den alten Pfadfinderspruch. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob der durchschnittliche Pfadi-Gruppenleiter mir zu sechs Kleiderwechseln während eines Wochenendausflugs raten würde, wenn drei – wenn überhaupt – vollkommen ausreichend wären.
Die Beerdigung, an der ich gerade teilnehme, ist die meiner Tante Emmeline oder Tante Molly, wie ich sie als Kind immer genannt habe. Und wenn ich bedenke, wie nahe wir uns in meiner Kindheit standen, muss ich mir jetzt zu meiner großen Schande eingestehen, dass ich mich nicht mehr genau daran erinnern kann, wann ich Tante Molly zum letzten Mal gesehen habe. Ich hatte immer vorgehabt, mal wieder zu ihr rüberzufliegen und ihr einen Besuch abzustatten, doch aus Wochen wurden Monate und aus Monaten Jahre; Sie wissen ja, wie schnell heutzutage die Zeit vergeht.
Seit wann ist das eigentlich so? Ist das vielleicht eine jener EU-Verordnungen wie die, dass alles nur noch in Kilogramm und Litern gemessen wird? Ist etwa kürzlich die Zeit beschleunigt worden, und ich habe nur die große offizielle Regierungserklärung verpasst?
Mit dem erwähnten »rüber« ist Irland gemeint. Dublin, um genau zu sein. Im Augenblick stehe ich vor den Toren der Stadt, in dem Dörfchen, in dem meine Tante die letzten Jahre ihres Lebens verbracht hat. An dieses kleine Cottage, in dem nun der Leichenschmaus stattfindet, kann ich mich gar nicht erinnern. Das Haus in meiner Erinnerung war ein riesengroßes Herrenhaus direkt am Meer im County Kerry. Als Kind habe ich immer meine Ferien bei ihr verbracht, weil meine Mutter arbeiten musste. Ich erinnere mich an fröhliche Tage, die ich hauptsächlich draußen und im strahlenden Sonnenschein verbracht habe. Sogar im Winter, wenn wir uns warm eingepackt hatten zum Schutz vor dem beißenden Wind, der vom Meer herüberblies und über das Land fegte, schien in meiner Erinnerung an Tante Molly immer die Sonne.
Warum scheint in Kindheitserinnerungen eigentlich immer die Sonne? Hat das auch etwas mit der EU zu tun?
Noch während ich darüber nachdenke, reißt mich eine Dame mit kleinen weißen Locken aus meinen Gedanken. »Noch eine Tasse Tee, Liebes?« Sie trägt eine Schürze mit Blümchenmuster, steht neben mir und hält mir eine Kanne Tee entgegen.
»Nein danke, ich hatte bereits zwei Tassen«, erwidere ich und lege meine flache Hand auf die Tasse.
»Dann vielleicht noch ein wenig Kuchen?« Sie deutet auf den Tisch, der unter der Last der Essensmengen zu ächzen scheint.
»Sehr freundlich, aber nein danke.«
»Sie sind nicht von hier, oder?« Durch ihre silberne Brille hindurch mustert sie mich eingehend.
»Nein. Ich bin aus London für die Trauerfeier hergekommen.«
»Natürlich. Und woher kennen Sie Emmeline?«, fragt sie neugierig und nimmt mich von Kopf bis Fuß in Augenschein.
»Ich bin ihre Nichte.«
Sofort ändert sich der Gesichtsausdruck der Frau; freudig überrascht sieht sie mich an. »Oh, dann müssen Sie Darcy sein! Wie schön! Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, meine Liebe?«
»Ja, das stimmt.« Ich lächele sie an. »Woher wissen Sie, wie ich heiße?«
»Ich bin Maeve. Molly war meine direkte Nachbarin.« Bei der Erinnerung an ihre Freundin wird ihr Blick ganz traurig. Er hellt sich jedoch langsam wieder auf, als sie voller Zuneigung von ihr erzählt.
Weitere Kostenlose Bücher