Zwei wilde kleine Hexen
»Lass das gefälligst deinen blöden Hund machen.«
Aber Lilli nahm sie einfach am Arm und schob sie zur Tür. »So was kann der nicht«, sagte sie. »Der kann nur küssen. Fressen und küssen.«
Also stand Rosanna Wache, während Lilli Schmuck und Kleider aus den Zimmern ihrer Schwestern schleppte.
»Guck nicht so!«, sagte sie ärgerlich. »Wir leihen es uns doch bloß.«
Murrend probierte Rosanna schlabbernde Röcke und bunte Blusen mit viel zu langen Ärmeln an, ließ sich Tücher um den Kopf wickeln und Armbänder über die Arme streifen. Bis Lilli endlich entschieden hatte, was am hexenmäßigsten aussah.
Ein furchtbarer Nachmittag.
Und draußen regnete es immer noch in Strömen.
»Weißt du was?«, sagte Rosanna, als Lilli sie zur Haustür brachte. »Eigentlich brauchen wir Gummikleider. Und Schrubber statt Besen würden auch besser passen.«
»Morgen wird es besser!«, sagte Lilli. »Ganz bestimmt. Dafür werden die Hexen schon sorgen. Vergiss nicht, deinen Kater mitzubringen. Ach ja, und lern das Lied auswendig.«
Seufzend steckte Rosanna den Zettel mit Lillis Dichtkunst ein. Zorro gab ihr einen stinkenden Abschiedskuss auf die Nase.
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Walpurgisnacht
Am nächsten Morgen kam der Wind. Er riss die nassen Blüten von den Sträuchern und fegte die schwarzen Wolken vom Himmel. Am Nachmittag war es kühl, aber trocken. In den Pfützen spiegelte sich eine blasse Sonne. »Auf die Hexen ist eben Verlass«, sagte Lilli.
Auch sonst stand ihrem Hexentanz nichts mehr im Weg. Rosannas Eltern mussten bis neun in ihrem leeren Café herumstehen und waren froh, dass Rosanna bei Lilli übernachtete. Lillis Mutter, die sie bestimmt ausgelacht hätte, war in der Walpurgisnacht zum Notdienst eingeteilt. Lillis große Schwestern waren alle verabredet und ihr Vater würde wie jeden Abend seine Kopfhörer aufsetzen und Musik hören. Außerdem hatte er nichts gegen Hexentänze, sagte Lilli und bat ihren Vater, auf Zorro aufzupassen und ihn auf keinen Fall rauszulassen.
Blieb nur noch ein Problem. Ramses. Mehr als hundert Katzenschritte entfernte er sich nie von seinem Schlafplatz. Also lockte Rosanna ihn mit List, Tücke und Schokoladeneis in eine Reisetasche. Reißverschluss zu, Ramses gefangen. Und fuchsteufelswild. Mindestens eine Woche würde er beleidigt sein. Hoffentlich war Lillis Hexentanz das wert.
Als Rosanna mit der fauchenden Katze bei Lilli ankam, dämmerte es bereits. Zappelig vor Aufregung hing Lilli über dem Gartentor.
»Ich hab schon fast alles fertig«, sagte sie. »Zorro ist eingesperrt. Ist dein Kater in der Tasche?«
»Ja, und stinksauer ist er. Zweimal hat er mir schon mit der Pfote eins verpasst. Da, durch das Luftloch.«
»Komm, wir bringen ihn nach hinten«, sagte Lilli. »Für ein Lagerfeuer war’s zu nass, ich hab den Grill aufgebaut. Meinst du, das gilt?«
»Wieso nicht?«, fragte Rosanna zurück, während sie Lilli in den dunklen Garten folgte.
Lilli zuckte die Schultern.
Sie trug kniehohe Gummistiefel – von einer ihrer Schwestern –, ein langes Kleid, das schon ziemlich nass war, ein Tuch mit Fransen über dem karottenroten Haar und Massen von Armreifen, Ketten und Ringen.
»Wusste gar nicht, dass Hexen so viel Schmuck tragen«, sagte Rosanna. Kalt war ihr und ein bisschen unheimlich. Große Nacktschnecken krochen überall durch das feuchte Gras. Hinter den Obstbäumen war der Himmel rot. »Deine Sachen sind auch schon hinten im Garten«, sagte Lilli. »Und eine dicke Wolljacke. Sogar Gummistiefel.«
»Haben deine Schwestern nichts gemerkt?«
Lilli kicherte. »Klar, aber sie haben sich gegenseitig verdächtigt. An ›die Kleine‹ haben sie natürlich nicht gedacht.«
In den verstecktesten Winkel des Gartens führte Lilli Rosanna. Wilde Rosen lehnten sich über den Holzzaun. Holunderbüsche verbargen das Nachbarhaus. Das Gras hatte Lilli platt getrampelt, dabei drei Frösche verscheucht und einen Schreikrampf gekriegt, weil sie einen alten Ast für eine Schlange gehalten hatte.
Rosanna stellte die Tasche mit Ramses ins Gras und sah sich um. Auf dem Grill stand schon ein großer schwarzer Topf.
»Komm.« Lilli zog sie zu einem Gartenstuhl, auf dem Rosannas Hexenkleider lagen.
Schlotternd zog Rosanna sich aus und schlüpfte in das fremde Kleid, die hohen Stiefel, schob sich die klirrenden Armreifen über die Arme und die Ringe auf die Finger. Zum Schluss band sie sich das Kopftuch um, das eigentlich eine Stoffserviette war. Dann sah sie an sich
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