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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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kälter vor. Als ich schließlich eines ihrer Lider anhob, glaubte ich, eine Veränderung an ihrem Auge wahrnehmen zu können, eine schreckliche Leere. »O nein«, murmelte ich und fühlte ihr wieder den Puls — »Nein, nein, Rya, bitte, nein« —, aber ich konnte noch immer keinen Herzschlag feststellen. »Verdammt, nein!« Ich drückte sie verzweifelt an mich, so als könnte ich den Tod daran hindern, sie meinen Armen zu entreißen. Ich wiegte sie wie ein Kleinkind, ich summte ihr Lieder vor, und ich versicherte ihr, daß es ihr bald wieder gutgehen würde, daß wir uns an Stränden sonnen würden, daß wir miteinander lachen und uns lieben würden, daß wir noch sehr, sehr lange zusammen leben würden.
    Ich dachte an die Gabe meiner Mutter, aus verschiedenen Kräutern Heilsalben und -tees zuzubereiten. Wenn andere das versuchten, blieb die Wirkung aus. Die Heilkraft wohnte meiner Mutter inne, nicht den pulverisierten Blättern, Wurzeln und Blumen, derer sie sich bediente. In der Familie Stanfeuss hatte ja jeder seine besondere Gabe. Und wenn meine Mutter heilen konnte — verdammt, warum nicht auch ich? Weshalb war ich mit Zwielicht-Augen gestraft, wo Gott mich doch ohne weiteres mit heilenden Händen hätte ausstatten können? Warum war ich verurteilt, nur Trolle und drohende Gefahren zu sehen? Warum konnte ich kein Heiler sein? Warum konnte ich die Kranken nicht sogar noch besser heilen als meine Mutter, nachdem ich fraglos von der ganzen Familie Stanfeuss die größten übersinnlichen Fähigkeiten hatte?
    Während ich Rya fest an mich drückte und sie wie ein Baby wiegte, versuchte ich sie mit meinem Willen am Leben zu erhalten. Ich beharrte darauf, daß der Tod sich unverrichteter Dinge zurückziehen müsse. Ich diskutierte und verhandelte mit dem Grimmen Schnitter, versuchte ihn mit logischen Argumenten zur Aufgabe zu bewegen, sodann mit flehentlichen Bitten; und schließlich drohte ich ihm sogar, so als gäbe es etwas, womit man dem Tod drohen könnte.
    Verrückt. Ich war total verrückt, nicht nur wegen des Fiebers, sondern auch vor Kummer. Mit meinen Händen und Armen hielt ich sie an mich gepreßt und versuchte, etwas von meiner Lebenskraft auf sie zu übertragen, etwas davon für sie abzufüllen, so wie man ein Glas aus einem Krug Wasser füllen kann. Ich stellte sie mir lebendig und lachend vor, ganz intensiv, und dann hielt ich zähneknirschend den Atem an und hoffte, diese Wunschvorstellung würde Realität. Ich versuchte das so verzweifelt, unter Aufbietung all meiner Kräfte, daß ich schließlich wieder das Bewußtsein verlor.
    Danach trugen mich Fieber, Trauer und Erschöpfung immer tiefer ins Reich des Wahns davon. Ich versuchte sie zu heilen, ich sang ihr Lieder von Buddy Holly vor, ich wiederholte irgendwelche Sätze, die wir in Momenten der Zärtlichkeit und Liebe zueinander gesagt hatten. Ich haderte mit Gott; nur um Ihn im nächsten Augenblick zu lobpreisen, ich beschuldigte Ihn des kosmischen Sadismus und erinnerte Ihn Sekunden später weinend an Seinen Ruf als Gott der Liebe und des Erbarmens. Ich wütete und fantasierte, ich klagte und heulte, ich betete und fluchte, schwitzte und fror, aber meistens weinte ich. Ich weiß noch, daß ich dachte, meine Tränen könnten sie vielleicht heilen und wieder lebendig machen. Wahnsinn.
    In Anbetracht des Stroms von Tränen und Schweiß schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis ich völlig verdorrte, zu Staub zerfiel und vom Wind verweht wurde. Dieses Ende erschien mir unglaublich verführerisch. Mich aufzulösen, so als hätte es mich nie gegeben...
    Ich konnte nicht mehr aufstehen und weitergehen, aber in meinen Fieberträumen reiste ich von Ort zu Ort. In Oregon saß ich in der Küche unseres Hauses und aß ein Stück von Mutters selbstgebackenem Apfelkuchen, während sie mir zulächelte und meine Schwestern mir versicherten, wie schön es sei, mich zurückzuhaben, und wie glücklich ich erst sein würde, wenn ich mit meinem Vater vereint sein würde — sehr bald schon.
    Auf einem Rummelplatz ging ich unter strahlend blauem Himmel zum ›Lukas‹, um mich Miss Rya Raines vorzustellen und sie um Arbeit zu bitten, aber der ›Lukas‹ gehörte einer ganz anderen Frau, die ich noch nie gesehen hatte. Sie behauptete, nie etwas von einer Rya Raines gehört zu haben. In Panik rannte ich von einer Attraktion zur anderen und suchte nach Rya, aber niemand hatte je von ihr gehört, niemand, kein Mensch.
    Und in Gibtown saß ich in einer Küche

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