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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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Schrank. Das Holz erlosch, während Inga es fallenließ. Der Schlüssel fühlte sich feucht an, sie wischte ihn ab und schob ihn ins Vorhängeschloß. Das Aufschnappen machte mehr Lärm, als ihr lieb war; langsam, knirschend gab die Blechtür nach. Sie entzündete die letzte Flamme. Die Fächer waren fast leer, das Wenige ordentlich sortiert, mit der freien Hand suchte sie. Weiches Leder, ein Klappverschluß, zwischen Büchern und Briefpapier zog Inga das Futteral hervor; es war federleicht.
    Woran sie gedacht hatte – Tabletten, Spritzen, Phiolen vielleicht, die im Inneren klirrten –, nichts davon konnte es sein. Plötzliche Hitze, sie sprang zurück, die Flamme ging aus, sie kühlte die Fingerspitzen am Ohr. Stellte die Ordnung im Dunkeln wieder her, klemmte das Etui unter den Arm und legte die leere Streichholzschachtel aufs Bord. An der ersten, gleich darauf an der äußeren Tür lauschte sie auf Stimmen; der Leutnant behielt recht – um diese Stunde war das Casino das Zentrum der Welt.
    Zweimal auf dem Rückweg spielten ihre Finger mit dem Verschluß, sie hätte nur die Lasche herausziehen und den Druckknopf aufklappen müssen. Rechnete er damit, daß sie es tat? Inga beschloß, die Essensmarken zu nehmen. Hinter dem Munitionsdepot kam der Streifenposten hervor. Hallo Inga, sagte er, unter einer Laterne winkte sie zurück.

2
    N icht das grüne.« Ingas Mutter saß im sonnengelben Lehnstuhl. Je schwieriger Zigaretten zu kriegen waren, desto langsamer rauchte sie.
    Â»Ich muß dem Bauern etwas geben, das er weiterverkaufen kann.« Mit Riesenschritten marschierte der Vater auf und ab. In Gassen, auf Ämtern machte sein Gang Eindruck, man ließ ihm den Vortritt, mutmaßte eine Persönlichkeit. Die Mutter schaute nicht einmal von ihrem Buch auf.
    Â»Das grüne Geschirr stammt von den Großeltern aus Husum«, sagte sie. »Ich habe sonst nichts mehr von ihnen.«
    Â»Altes, bestoßenes Zeug.« Seine gestreckten Arme berührten beinahe die Zimmerwände. »Der Bauer bemerkt es gar nicht.«
    Â»Nicht das grüne.« Die Mutter stellte die Beine so, daß das linke, dünnere vom rechten verdeckt wurde. Sie war nicht hübscher heute, in dem hellen Kleid sah man nur deutlicher, wie hübsch sie wirklich war. »Wenn du tauschen mußt, nimm das Geschirr von deiner Familie.«
    Das Horngestell bebte, hinter den Brillengläsern wirkte sein Augenaufschlag wie das Blinken eines Leuchtturms. »Soll ich mit leeren Händen – !« Zwei Meter hoch wuchs er vor ihr auf. Obwohl kein Lufthauch durchs Zimmer strich, sah das aschblonde Haar verweht aus.
    Die Mutter nahm den letzten leidenschaftlichen Zug und drückte die Zigarette in der Silberschale aus, die auf die Armstütze geklemmt war. Trotz ihrer Vorsicht war der Stoff um den Aschenbecher
grau gesprenkelt. »Erik«, sagte sie mit diesem Ton, als sei sie bitter von ihm enttäuscht.
    Â»Also habe ich das Auto umsonst bestellt?« Seine Hände sanken an die Hosennaht. Der hellgraue Anzug stand ihm so gut, er trug ihn, wenn er seriös wirken wollte; jetzt schwand seine Hoffnung, daß es noch etwas aus der Fahrt über die Dörfer würde. Er sah sich den Anzug wieder ausziehen und die Gabardinehose aus dem Schrank nehmen – so abgetragen sie war, selbst die älteste Hose wurde gebügelt; ohne Bügelfalte ging Erik nicht unter Menschen.
    Â»Früher wäre das unmöglich gewesen«, murmelte er. »Früher brauchte man nicht sein Porzellan zu verhökern, wenn man –«
    Â»Noch ein Wort von früher  –«, ihre sanften Augen stachen zu ihm empor, »und ich hole deine Bilder vom Speicher und hänge sie zum Fenster hinaus.«
    Â»Laß die Bilder, wo sie sind!« bellte er und trat gleichzeitig zurück.
    Sie erwiderte nichts; beide warteten ab.
    Â»Du wolltest ausfahren, Marianne«, sagte er listig. »Was soll ich jetzt noch beim Bauern?«
    Â»Wir finden schon etwas.« Sie legte das Buch weg, streckte die Hand aus, er half ihr hoch, so nebenbei, als habe es nichts mit ihrem Bein zu tun. Langsam, Arm in Arm, gingen sie durch das Haus wie durch einen Möbelladen. In der Küche fanden sie nichts, das Thema Porzellan war erledigt, von Eriks Gerätschaften kam kein Stück in Betracht.
    Sie betraten das Südzimmer, die Märzsonne war über den First geklettert,

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