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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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Essensmarken genommen, gesprochen wurde nur das Nötigste.

    Nach der Stadtgrenze sprang Inga ab, lief das letzte Stück, betrachtete die Muster der Pflastersteine und stellte sich die Schuhe vor, die diese Steine blank getreten hatten; bis tief in die Vergangenheit reichten ihre Tritte. Ein Käfer schaffte die Erhebung zwischen zwei Steinen nicht, unwirklich langsam bewegte er sich, als sei es kompliziert, sechs Beine gleichzeitig zu benützen. Vorne überwand er das Hindernis, zog sich hoch, die Hinterbeine strauchelten, er rutschte zurück. War er vom Frühling so taumelig, oder hatte er im Winter zu sterben versäumt und lebte außerhalb seiner Zeit? Mit dem Finger half Inga ihm, das Plateau zu erreichen, nun saß er ratlos dort oben, verschlafen gingen die Fühler hin und her. Hinter Inga hupte es, ein Laster verbreitete Gestank. Sie begriff, daß sie auf allen vieren in der Gasse kniete, sprang auf, trat zur Seite und beobachtete besorgt, wie der Käfer zwischen den Rädern verschwand und dahinter wieder auftauchte.
    Â 
    Als Inga heimkam, stand Hennings Auto vor der Gartentür. Er und ihr Vater schleppten die Standuhr die Treppe herunter; obwohl sie Pendel und Gewichte abmontiert hatten, schlugen die Eisenteile bei jedem Schritt aneinander. Inga strich über die Kühlerschrift des Wagens und beobachtete die Männer bei der Arbeit. Henning war vierzig und der beste Freund der Familie. Er hatte zwei Söhne, zwölf und acht; als er vom Balkan zurückkehrte, hatten die Jungs ihn nicht wiedererkannt. Daß er unversehrt geblieben war, hatte er seinem Pferd zu verdanken, zwei Tage vor der Gegenoffensive warf es ihn ab, Rückgratprellung, im Lazarett erfuhr er, daß all seine Kameraden gefallen waren. Henning war schwer, nicht plump, sein Haar wie Wolle aus Stahl. Neben Erik wirkte er dennoch verloren.
    Â»Paßt auf das Glas auf.« Die Mutter hatte ihr Kissen ins Fenster gelegt, rauchend beaufsichtigte sie den Transport.
    Auf der Schwelle stellten die beiden den sperrigen Kasten ab, der Vater fluchte, weil sein Anzug einen winzigen Fleck abgekriegt hatte.

    Henning bemerkte Inga, lief auf sie zu, umschloß ihre Hände und küßte sie auf die Wange. »Kommst du mit?« Er lächelte, daß der Goldzahn blitzte.
    Â»Wir brauchen auch Eier«, sagte die Mutter von oben.
    Â»Brauchen wir nicht.« Inga zog die beklebte Karte hervor, zwischen den braunen Marken befanden sich zwei mit dem begehrten roten Stempel.
    Â»Wir sollten uns gelegentlich bei deinem Offizier bedanken.« Mit spitzen Fingern hielt Marianne die Zigarette aufrecht, damit keine Asche in den Garten fiel. Inga erschrak, begriff aber gleich, die Mutter meinte nicht den Lieutenant, sondern den Nachschuboffizier.
    Â»Fährst du mit?« wiederholte Henning. Sein Hemd stand offen, der getrocknete Schweiß klebte die Haare an seine Brust.
    Sie wollte antworten, daß sie müde sei, gleichzeitig hatte sie Lust, mit Henning im Wagen zu sitzen. Er kommt deinetwegen, hatte Marianne einmal gesagt. Was er sich wünscht, darfst du ihm nicht erfüllen, aber Freundlichkeit kostet nichts.
    Inga redete sich ein, sie tue es der Mutter zuliebe; Marianne genoß es, durch die Gegend gefahren zu werden. Im Auto konnte sie überallhin, war beweglich wie früher. Während die andern in die Natur liefen, stieg sie nicht aus, streckte lediglich ihre Beine in die Sonne.
    Â»Haben wir denn alle Platz?« Inga erwiderte Hennings Händedruck.
    Der Kofferraum stand offen, die Wolldecke war ausgebreitet, der Vater und er hievten die Uhr hinein; man würde sie festbinden müssen.
    Â»Platz, soviel du willst«, sagte Henning. »Einsteigen!« rief er zum Fenster hoch.
    Marianne schloß die beiden Flügel, es dauerte eine Weile, bis sie an der Treppe erschien, jetzt kam das Schwerste. Sie betrat die oberste Stufe, stellte das schmale Bein neben das gesunde, stützte sich ab und nahm den nächsten Absatz. Dabei benützte sie den
Handlauf so nebenbei, als käme sie eigentlich ohne ihn aus. Auch wenn die andern ihr hätten helfen wollen, verharrten sie beim Auto – im Freien, wo Fremde Marianne sehen konnten, verbat sie sich jede Unterstützung. So lange sie für den steilen Weg auch brauchte, überstrahlte sie ihn mit ihrem Lächeln, und das besagte, es war endlich Frühling geworden.
    Sie brachen nach Jemshoe auf. Wenn es für Hennings Wagen zwischen

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