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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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    D er Engländer hatte die Augen geöffnet. Seine Haut war nicht winterweiß, eher durchsichtig, das schwarze Haar ließ das Gesicht auf dem Kissen noch fahler erscheinen. Als Inga an seinem Bett vorbeiging, folgte er der Bewegung.
    Sie hatte in H nichts verloren, die Lazarettbaracke war bloß der kürzere Weg zu ihrer Abteilung – die Krankenschwestern kannten sie; gerade wechselten sie seinen Verband. Inga sah das geschwollene Knie, rote Schnitte, die frischen Fäden, Blutschorf bis zur Wade. In der Sekunde, als sie stehenblieb, ging der Klebestreifen ihres Farbbandes auf, die Spule sprang aus der Hand und rollte unter das Nachbarbett. Kniend suchte Inga zwischen ausgezogenen Schuhen und den eisernen Beinen des Nachttisches. Als sie hochkam, waren ihre Finger schwarz. Das Farbband hier aufzurollen, kam nicht in Frage, Inga hängte es in Schleifen über die linke Hand; inzwischen war der Engländer frisch verbunden und zugedeckt worden. Sie bildete sich ein, daß er ihr nachsah, drehte sich aber nicht um.
    Vor der Baracke standen die Männer rauchend in der Kälte und wandten die Gesichter der Märzsonne zu; zwei trugen die Uniformjacken über dem Schlafanzug. Ob Inga die neue Schwester sei, fragte einer, und mit Blick auf das Farbband, ob schwarze Mullbinden jetzt in Mode kämen. Sie machte den Spaß mit, die Tommies lachten hinter ihr her. Laufend drehte sie dem Wind den Rücken zu, trotzdem flatterten die Schlingen auf ihrer Hand; im Krebsgang verließ sie das Lazarett. Es lag nur einen Steinwurf von der
Lagereinfahrt entfernt, der Wachposten schob den Helm in den Nacken und winkte Inga zu.
    Sie nahm den Sandweg entlang der Hagebutten, umging das Casino über den Pfad hinter der Tankstelle, die nur besetzt war, wenn Flugzeuge erwartet wurden. Vor dem Speisesaal nützte der Unteroffizier die Zeit bis zum Lunch, um die Terrasse fegen zu lassen. Ein Captain saß lesend in der Sonne, ohne aufzublicken hob er die Beine, als sich die Besen näherten. Der Wagen des Kommandanten parkte vor seiner Baracke, Lagebesprechung, fiel Inga ein, es mußte also Mittwoch sein. Der Weg gabelte sich, links die Mannschaftsunterkünfte, dahinter das Flugfeld, die schmale Rollbahn verlor sich zwischen den Föhren. Sie hatten die Baracken mitten in den schütteren Wald gebaut – Baracken, dachte Inga, keine Zelte, sie blieben noch eine Weile. Rechts tauchte die Nachschubabteilung auf. Die offizielle Abkürzung für Ingas Arbeitsplatz lautete anders, doch weil von hier die Bestellungen ausgingen, für alles, was im Lager benötigt wurde, trug die Baracke den Spitznamen Goodies – das G stand in Rot an die Rückwand gemalt.
    Ingas Sergeant hatte den Stuhl ins Freie gestellt, den Mantel bis oben geschlossen, trank er Tee. »Von wegen deutsche Pünktlichkeit«, begrüßte er die junge Civilian Employee.
    Sie entschuldigte sich mit der verspäteten Abfahrt des Lasters aus der Stadt. Eine Bö fuhr ins Farbband, sie bat den Sergeant, ihr die Tür zu öffnen. Lachend blieb er sitzen und beobachtete, wie sie umständlich den Türknauf bediente und in der Baracke verschwand.
    Die Listen sollten bis Mittag fertig sein, doch Inga brauchte beinahe so lange, um das Band auf die Spule zu rollen. Immer wieder rutschte es aus der Führung, verdrehte sich, schließlich quoll das kleine Rad über und ließ sich nicht in die Maschine einlegen. Zuletzt waren Hände, Arme und ihr Tisch beschmiert. Mit dem Ellbogen öffnete sie das Fenster, um die helle Luft einzulassen. Wie friedlich die Blocks dalagen, man hätte das Ganze für ein Ferienheim halten können, nur die Kinder fehlten. Sie drehte sich
um, dort stand ihr Tisch, die Stempel, aufgehängt in der kreisförmigen Halterung, das Papier und die Kuverts mit dem Aufdruck der Armee Seiner Majestät. Selbst die alte Remington sah an diesem Frühlingsmorgen nicht ganz so schwarz aus. Inga fiel ein, sie mußte Kohlepapier bestellen. Die Tür zum Büro des Officers stand angelehnt, der Luftzug schloß sie mit einem Knall.
    Sie versuchte es erst gar nicht mit Seife. Die Finger von sich gestreckt, lief sie hinüber zur Küchenbaracke und borgte sich den rauhen Stein aus, mit dem dort Zwiebelsaft und Fett abgeschrubbt wurden. Während sie rieb, drang der Essensgeruch zu ihr, im Hinausgehen warf sie einen Blick in den Kessel – was der Koch da umrührte, war

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