Zwischen dir und mir
noch süß gefunden und ihm geantwortet.
Ein großer Fehler. Und im selben Moment wurde ihr bewusst, was noch passieren konnte – wenn es nicht schon geschehen war. Sie packte Tims Arm noch fester, bis er nicht mehr grinste. »Hast du ihm das etwa schon erzählt?«
Stumm nickte er und versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien.
Lisa schloss die Augen und verzweifelte innerlich. Ihr kleiner Bruder hatte sie durch das Schlüsselloch dabei beobachtet, wie sie Dennis einen geblasen hatte, und inzwischen wusste es bestimmt seine ganze Klasse. Wenn nicht die gesamte Grundschule.
»Scheiße, Mann.« Lisa hätte heulen können. Sie löste den Griff und ließ sich vor ihrem kleinen Bruder auf das Parkett sinken. »Du hast es ihm wirklich erzählt?« Sie schaute ihn eindringlich von unten an, als gäbe es noch einen Funken Hoffnung.
Er nickte stumm. Kein Grinsen.
»War das schlimm?«
Sie verdrehte nur die Augen und lehnte sich mit dem Kopf gegen die Wand. Am liebsten wäre sie einfach wieder schlafen gegangen.
Irgendwer kam immer zu spät. Na, klar! Wer anders, wenn nicht Alex. Ein Versager. Introvertiert. Bereits siebzehn und dafür ziemlich wunderlich. Er fiel nicht besonders auf, nur ganz selten bedachte er sie mit einem rätselhaften Blick. Diesmal nicht. Er hatte eben sein altes rostiges Fahrrad auf dem Schulhof abgestellt, als ihr einfiel, wie peinlich es wäre, später als er zur Stunde zu kommen.
»Hey, Alex«, rief sie ihm hinterher, als er die Tür zur Schule öffnete. Bestimmt würde er sie aufhalten und sie vorlassen. Dann würde sie ihn unter Augenzwinkern fragen, ob er nicht noch etwas warten könnte. Noch kein Junge hatte ihr eine Bitte ausgeschlagen. Lisa mochte es gar nicht, ihre Stärken auszunutzen. Eigentlich. Doch jetzt brauchte sie diese Bestätigung dringender als je zuvor.
»Hey …«, rief sie, diesmal schon leiser. Denn die Tür war hinter ihm zugefallen, ohne dass er sie bemerkt hätte. Sie hastete ihm hinterher. Klar, er hörte Musik. Wie sollte er sie so hören?
Mit Alex verband sie wirklich nicht viel. Nur ein kurzer Moment, den sie irgendwie dennoch nicht vergessen konnte. Vor ziemlich genau einem Jahr auf Klassenfahrt. Damals war er noch der Neue in der Klasse gewesen. Sie hatte mit ihren Freundinnen an einem Teich nahe ihrer Jugendherberge gebadet. Als sie nur im Bikini aus dem Wasser gekommen war, hatte er dagestanden. Nichts gesagt. Nur ihre Augen hatte er gefangen gehalten. »Guck nicht so scheiße«, hätte wohl jedes Mädchen gesagt. Nicht sie. Er schaute sie anders an als die anderen Jungs. Ganz, als blicke er tief in sie hinein. Das war ungewohnt, sogar ein bisschen unangenehm, aber vielleicht ließ es sie deswegen nicht los.
Ein Wort hatten sie nie gesprochen.
• • •
Irgendwann musste er es doch mal schaffen, pünktlich zu kommen. Alex riss die Kopfhörer herunter. Seine Turnschuhe quietschten auf dem grauen Linoleum. Die Ohren fühlten sich seltsam taub an, nachdem keine Bässe mehr hämmerten.
»Schon wieder zehn Minuten zu spät, Alexander«, bemerkte sein Biologielehrer Herr Bause nüchtern.
Die leeren Flure hatten seine Hoffnung bereits sehr getrübt. Scheißegal. Würde er wohl auf ewig die Blicke seiner Mitschüler ertragen müssen. Als ob sie besser wären. Er hatte schon lange aufgegeben, sie ernst zu nehmen. Auf ihre Akzeptanz konnte er scheißen. Immerhin warteten Georg und Julian in der letzten Reihe. Alle drei waren sie im Jahr zuvor sitzen geblieben.
Seine besten Freunde waren sie deswegen noch lange nicht, wenn er ehrlich war – falls es so was überhaupt gab. Einfach nur Freunde, mit denen man sich dieses Leben so angenehm wie möglich machen konnte. Das sahen sie wahrscheinlich auch nicht anders. Irgendwie hatten sie die gleiche Lebenseinstellung wie er. Und das half ihm schon sehr viel weiter. Es reichte, dass sie wussten, was sie miteinander erlebt hatten. Die Nächte, in denen sie ins Freibad eingestiegen waren, die Tage am See, an denen sie einfach nur die Zeit vergessen hatten, der Abend vor ein paar Monaten, als sie vor der Polizei weggelaufen waren. Es waren Geschichten und ein Haufen Probleme, die sie miteinander teilten. Nicht mehr, nicht weniger.
»Hey, wir haben diesmal eine neue Rekordzeit geschafft«, jubilierte Georg flüsternd.
»Nur vier Minuten«, ergänzte Julian mit vollem Mund.
»Wir waren sogar noch bei Mäc-ass«, berichtete Georg stolz, während er sich diese ekelhafte Mischung aus Ketchup und Senf, mit der jeder
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