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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lino Munaretto
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Zeugnis dieses Jahr würde wieder perfekt sein. Wie erwartet. Es würde einen Fünfziger von ihren Eltern und Großeltern geben.
    Und trotzdem verspürte sie keine Freude darüber. Zu sehr bedrückten sie die Gedanken, die sie seit ein paar Wochen nicht mehr losließen.
    »Was ist los mit dir, Lissy?« Marie hatte sie auf dem Flur eingeholt. »Erst kommst du zu spät …«
    »Hatte Streit mit meinem kleinen Bruder.«
    »Warum? Erzähl.«
    Lisa war stehen geblieben und hatte ihre Tasche abgelegt. Sie standen auf dem Rasen zwischen den Biologieräumen und dem Hauptgebäude.
    »Er war doch bei mir. Also Dennis. Am Wochenende«, sprach sie etwas leiser weiter.
    Maries Augen wurden größer. »Erzähl, wie war es. Habt ihr es getan?«
    »Nein.«
    »Oh«, meinte ihre beste Freundin erstaunt und bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. War es wirklich nur Mitleid? Kurz hatte Lisa den Eindruck, dass Maries Augen funkelten – als wäre die Nachricht gar nicht so schlecht. Bestimmt bildete sie sich das nur ein. Lisa hatte jetzt keinen Nerv, sich weiter damit zu beschäftigen. Wem konnte sie denn vertrauen, wenn nicht ihr?
    »Ach, es ist doof gelaufen. Er wollte, dass ich es ihm … also ich hab’s ihm gemacht. Aber dann war mein kleiner Bruder am Schlüsselloch«, seufzte sie.
    »Was? Du hast ihm einen geblasen?«, überschlug sich Maries Stimme.
    »Pst, nicht so laut! Muss ja nicht jeder wissen«, zischte Lisa und wurde knallrot.
    »Ist ja gut. Und dann?«
    »Nichts ›und dann‹ .«
    »Hat er bei dir geschlafen?«
    »Nein, ich hab ihn weggeschickt.«
    »Was?«, fragte Marie entsetzt.
    »Ach, ich weiß auch nicht, ob es richtig war. Es war mir einfach nicht mehr danach.«
    »War es wenigstens schön? Also vorher.«
    Gute Frage. War es das? »Ja«, musste die Antwort lauten. Kein Ja, das sie selbst überzeugt hätte.
    »Ach, Lissy. Freu dich doch«, versuchte Marie sie aufzumuntern. »Bald ist es bestimmt so weit.«
    »Ich weiß nicht … erst mal hoffe ich, dass meine Eltern nichts davon erfahren. Mein Bruder erpresst mich. Aber eigentlich ist es sowieso egal. Mittlerweile weiß es seine ganze Grundschule.« Wie schon heute Morgen wäre sie am liebsten im Erdboden versunken.
    »Hey«, riss sie Marie aus ihren Sorgen und nahm sie in den Arm. »Du musst dich deswegen nicht ärgern. Weißt du was? Heute Abend kommst du mit ins Vegas .«
    Das Vegas war eine kleine Diskothek. Die einzige in der Kleinstadt. Deswegen auch die einzige Möglichkeit, am Wochenende wegzugehen. Marie und Lisas andere Freundinnen hatten dort keine Party verpasst, seit sie vierzehn waren. Lisa war nie dabei gewesen.
    »Meine Eltern …«, verdrehte Lisa die Augen.
    »Quatsch, meine Eltern sind nicht da. Das heißt, meine Mama quatscht deiner nix weiter. Also treffen wir uns mit den anderen bei mir. Du sagst, du bist bei mir – Mädelsabend –, und sie werden keinen Verdacht schöpfen.«
    Sie schaute in Lisas unsichere Augen, denen wie immer ein wenig der Mut fehlte.
    »Kein Aber! Dennis wird es nicht schlimm finden. Und wenn doch. Woher nimmt er das Recht? Du musst locker werden, Lisa.« Marie rüttelte an ihr, bis sie lachen musste.
    »Ist gut. Ich komm ja«, gab Lisa auf und bekam einen dicken Wangenkuss von Marie, die sie sogleich auch umarmte und einen leisen Freudenschrei ausstieß. »Perfekt, mein Schatz.«

2
    Alles saß gut. Sie drehte sich herum. Das kurze leichte Kleid in gedecktem Weiß passte perfekt. Eine lange Zeit hatte es unangetastet ganz hinten im Kleiderschrank gehangen. Sie rückte den Ausschnitt zurecht. Der breite schwarze Gürtel mit silberner Schnalle würde ihre Taille noch besser betonen, sie zog ihn fest. Täuschte es, oder war sie etwas dicker geworden? Ein Loch weiter ließ sie die Schnalle wieder zuschnappen. Etwas eng. Ihr Spiegelbild gefiel ihr schon besser.
    Heute war ihr egal, was ihre Eltern oder Dennis sagen würden. Sie konnte sich nicht erinnern, je den Reiz verspürt zu haben, ihren Freund provozieren zu wollen. Es zählte nicht länger, was er schön fand – was er übertrieben fand. Sie hörte ihn schon sagen: »Warum trägst du das? Wem willst du damit imponieren, Schatz? Mir reicht auch weniger.«
    Sie wollte nicht länger sein kleines Mädchen sein. Schon hatte sie sich dabei ertappt, wie ein selbstzufriedenes Lächeln über ihre Lippen huschte. Jeder sagte, dass sie schön sei. Glücklich machte sie das nie. Aber so unzufrieden wie heute war sie sonst nicht mit sich.
    Noch etwas Haarspray. Perfekt.

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