Zwischen uns die Zeit (German Edition)
noch da drin? Dieser Rucksack ist wie die Tasche von Mary Poppins. Braucht ihr an eurer Schule tatsächlich so viele Bücher?« Er lacht, aber ich weiß, dass er wirklich darüber staunt, dass meine Schulzeit an der Westlake Academy so ganz anders verläuft als seine, die er der Evanston Township Highschool verbracht hat.
» Du bist derjenige, der unbedingt wollte, dass ich auf eine teure Privatschule gehe, um einen guten Abschluss zu machen«, erinnere ich ihn und winke mit einem besonders schweren Buch. » Hier. Da steckt dein hart verdientes Geld drin.«
Er nimmt es mir aus der Hand, zieht eine erschrockene Grimasse und lässt es krachend auf die Theke fallen. » Du bist meine Heldin, Annie.« Dann greift er nach seiner Jacke, drückt mir einen Kuss auf die Stirn und geht zur Tür. » Es soll nachher wieder schneien«, sagt er, während er sich seinen Schal um den Hals wickelt. » Ruf mich an, wenn ich dich abholen soll, okay?«
» Die drei Blocks kann ich gerade noch laufen, Dad.«
» Ich weiß, dass dein Herz furchtlos und dein Körper eine Kampfmaschine ist, aber ruf mich trotzdem an, falls du deine Meinung änderst, okay?«
Ich verdrehe die Augen. » Dad. Drei Blocks.«
Als er die Tür öffnet und ein eiskalter Windstoß in den Laden fährt, fällt mir etwas ein. » Hey, Dad?« Er dreht sich noch einmal fragend zu mir um. » Aber ich hätte nichts dagegen, wenn du mich morgen zur Schule fahren würdest… wenn das für dich okay ist.«
» Hat Emma einen Arzttermin oder warum kann sie dich nicht abholen?«
» Nein.«
Er sieht aus, als wolle er nachfragen, was los ist, überlegt es sich aber doch anders und zuckt bloß mit den Achseln. » Kein Problem, Annie. Ich fahre dich gerne.« Dann ist er zur Tür hinaus und zurück bleibt nur der Nachhall der klingelnden Glöckchen.
4
» Was mache ich da eigentlich?«, schießt es mir durch den Kopf, als ich in der kleinen Pause zwischen der dritten und vierten Stunde vor dem Spiegel auf der Mädchentoilette eine zweite Schicht Lipgloss auftrage und mir anschließend auch noch die Wimpern nachtusche. Ja, okay, Bennett ist ziemlich süß, trotzdem ist der Aufwand, den ich heute Morgen betrieben habe, um mich für die Schule fertig zu machen, völlig untypisch für mich. Genauso wie dieser Make-up-Check auf dem Schulklo.
Als ich wieder in den Gang hinaustrete und mich zum Spanischkurs aufmache, spüre ich, dass mein Adrenalinpegel ansteigt wie normalerweise nur während des letzten Kilometers eines wichtigen Laufs. Vor dem Klassenraum angekommen, atme ich noch einmal tief durch und setze eine möglichst unbeteiligte Miene auf, dann straffe ich die Schultern und öffne die Tür.
Bennett sitzt zurückgelehnt in seinem Stuhl und spielt mit einem Bleistift, den er zwischen den Fingern kreisen lässt. Als unsere Blicke sich treffen, bin ich überrascht, dass er nicht sofort wieder wegschaut– schließlich war die Situation gestern in der Cafeteria extrem unangenehm für ihn. Tatsächlich bilde ich mir ein, dass seine Augen sogar einen Moment lang aufleuchten, als würde er sich freuen, mich zu sehen. Dann senkt er den Kopf und kritzelt versonnen lächelnd irgendetwas in sein Ringbuch.
Erleichtert darüber, dass er mir den peinlichen Zwischenfall anscheinend nicht übel nimmt, atme ich auf, setze mich an meinen Platz und hole mein Heft mit den Hausaufgaben aus dem Rucksack, während nach und nach die anderen aus dem Kurs hereingeschlendert kommen. Hat er sich eben wirklich gefreut, mich zu sehen? Ich hoffe, dass man mir meine Nervosität nicht anmerkt, aber es macht mich immer noch verrückt, dass ich nicht weiß, ob er der Typ aus dem Stadion ist oder nicht. Ich wünschte, er würde nicht ausgerechnet direkt hinter mir sitzen, dann könnte ich ihn wenigstens heimlich beobachten.
Nachdem es gegongt hat, verkündet Señor Argotta: » Wir schreiben einen Test!«
Das aufgeregte Pochen meines Herzens geht im kollektiven Stöhnen und dem Geräusch der Seiten unter, die aus Heften gerissen werden. Der Test ist mir egal, ich bin in Gedanken immer noch bei Bennett. Meine Handflächen sind feucht und mir ist heiß. Eilig schiebe ich mir die Locken aus dem Gesicht, drehe sie am Hinterkopf zu einem Knoten zusammen und halte sie mit einer Hand fest, während ich mich bücke und in meinem Rucksack nach einer Spange wühle. Ich ertaste Bücher, Hefte, eine Sammlung zerknitterter Kaugummipapierchen, eine Rolle Pfefferminzbonbons und eine CD -Hülle, aber weder eine Spange noch
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