Zwischen uns die Zeit (German Edition)

Während ich den Mozarella in Scheiben schneide, gibt Mom die klein gehackten Tomaten zusammen mit Gewürzen und Kräutern in einen großen Topf, rührt kurz um und setzt sich dann auf einen der Hocker an der Küchentheke. Sie stützt das Kinn in die Hand und sieht mich erwartungsvoll an. » Also los. Du fängst an. Was gibt es Neues an der Westlake Academy?« Dienstag ist traditionellerweise der Tag, an dem wir gemeinsam kochen und uns gegenseitig den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Schule und aus dem Krankenhaus erzählen. Obwohl Moms Arbeit dort sowohl körperlich als auch emotional ziemlich anstrengend ist, hören sich ihre Geschichten über Patienten, die knapp dem Tod entronnen sind, und die Liebesverwicklungen zwischen Ärzten und Schwestern immer wie aus einem Drehbuch von » Emergency Room« an. Ich bin froh, dass ihr der Job so viel Spaß macht, weil ich weiß, dass sie vor allem deswegen wieder angefangen hat zu arbeiten, um es mir zu ermöglichen, einen Schulabschluss an der Westlake Academy zu machen. Das Geld, das Dad mit der Buchhandlung einnimmt, würde nicht reichen, um die Privatschule zu finanzieren.
    » Och, bei mir ist eigentlich alles wie immer«, behaupte ich, ohne vom Schneidebrett aufzusehen. » Wie lief es bei dir?«
    Mom schüttelt den Kopf. » Nichts da, Schatz. Irgendetwas gibt es immer zu berichten. Gönn deiner Mutter doch das kleine Vergnügen, am Alltag ihrer Tochter teilzuhaben.« Sie steht auf, um nach ihrer Soße zu sehen, kehrt dann wieder an ihren Platz an der Theke zurück und sieht mich erwartungsvoll an. Ich würde ihr so gern die Wahrheit sagen. Dass sich ein Mensch praktisch vor meinen Augen in Luft aufgelöst hat. Dass ich gestern zu Fuß von der Schule nach Hause gelaufen bin, weil zwischen meiner besten Freundin und mir bis vor einer halben Stunde Funkstille geherrscht hat. Dass in meinem Rucksack etwas liegt, das mir unglaublich kostbar vorkommt, obwohl es nur ein gewöhnlicher Bleistift ist. Und dass der Grund dafür ein ganz bestimmter Junge ist, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Und dann würde sie mich fragen, ob ich ihn süß finde, und ich würde lächelnd nicken. Stattdessen sage ich nur: » Für die Bio-Arbeit, auf die du letzte Woche mit mir gelernt hast, habe ich 98 Punkte bekommen.«
    » Das ist doch toll. Von wegen, bei dir ist nichts passiert.« Mom sieht mich noch einen Moment lang abwartend an, und als von mir nichts mehr kommt, erzählt sie von einer ihrer Kolleginnen, die dabei erwischt wurde, wie sie während der Dienstzeit draußen bei den Krankenwagen mit einem Sanitäter herumgeknutscht hat.
    Eine Viertelstunde später hören wir, wie sich ein Schlüssel in der Haustür dreht. » Ich bin wieder da!«, ruft Dad aus dem Flur, während Mom und ich gerade Nudelplatten, Soße und Käse in eine rechteckige Auflaufform schichten.
    » Hallo, Annie.« Er stellt sich hinter mich und küsst mich auf den Scheitel.
    » Hey, Dad.«
    Mom dreht sich zu ihm um und tippt ihm mit ihrem tomatensoßenverschmierten Zeigefinger auf die Nasenspitze. » Hallo, Liebling!«
    Dad wischt sich grinsend den Tomatensoßenfleck ab und steckt den Finger in den Mund. » Mhmm. Köstlich wie immer!«
    Nachdem wir unser Werk mit ein paar Händen voll geriebenem Parmesan vollendet haben, schiebt Mom die Form in den vorgeheizten Ofen. Danach geht sie duschen, und ich verziehe mich in mein Zimmer, um meine Hausaufgaben zu erledigen.
    Ich mache es mir auf dem flauschigen Teppich bequem, öffne meinen Rucksack und hole meine Unterlagen heraus.
    Anschließend ziehe ich die kleine Reißverschlusstasche vorne auf, nehme den Bleistift heraus und lasse ihn genauso zwischen meinen Fingern hindurchgleiten, wie Bennett es heute Vormittag getan hat, als ich ins Klassenzimmer kam. Ich denke an das warme Lächeln, mit dem er ihn mir gereicht hat, und spüre ein aufgeregtes Ziehen in der Magengegend, während ich überlege, welches der passendste Moment wäre, um ihm den Stift zurückzugeben.

5
    Verzögerungstaktik.
    Das ist der Kerngedanke meines brillanten Plans zur Bleistiftrückgabe. In der Umsetzung sieht das Ganze so aus, dass ich erst im allerletzten Moment in den Spanischkurs gehen werde, damit vor dem Unterricht keine Zeit mehr bleibt, ihm den Stift zu geben. Wenn es dann zur Mittagspause gongt, werde ich aufstehen, Bennett abfangen, mich noch einmal für seine freundliche Leihgabe bedanken und mich dann im Idealfall den ganzen Weg bis zur Cafeteria mit ihm unterhalten.
    Als es so weit