Zwischen Wind und Wetter
aus die
Heimatküste für immer im Dunst verschwinden sahen.
LEINEN
LOS!
3. Juli
1993. Heute hat uns die Fähre mitgenommen. We are sailing! Irland verabschiedet
sich von uns, wie es uns begrüßt hat: sonnig. Céao m’jle fájlte! Tausend Grüße!
Mit letzter
Kraft und schleifender Kupplung, nein, mit schleifender Bremse wegen des
starken Seitenschlages am Hinterrad und mit gerissenem Bowdenzug für meine
vorderen Zahnräder hinken wir zum zweitenmal nach Ringaskiddy, dem Fährhafen,
hinein. Der Bowdenzug ist völlig verrostet, die Umhüllung aufgeplatzt. Das
Jahrhunderttief hat seine Spuren hinterlassen. Ich habe die Kette auf den
kleineren vorderen Zahnkranz gelegt und begnüge mich mit sechs Gängen.
»Du solltest
mal dein Fahrrad in Ordnung bringen«, meint Ilse. Die hat gut reden, die mit
ihrer schabenden Hinterachse. Aber ich sage lieber nichts, sonst muß ich das
untersuchen.
Die ‘Val de
Loire’ nimmt uns mit nach Roscoff in der Bretagne. Die ‘Duchess Anne’ wollte
uns nicht, das dritte Schiff der französischen Linie ist nach der wilden
Halbinsel ‘Quiberon’ im Süden der Bretagne benannt.
Bevor wir an
Bord gehen können, scheint die halbe Bretagne auszusteigen und nach Irland zu
wollen. Das verstehe, wer will. Spätestens morgen wird das nächste Tief
Wasserwolken-berge heranschleppen und der Wetterdienst Temperaturen um 15 Grad
ankündigen. Oder 16 Grad, oder gar 17? Mehr zeigen die irischen Thermometer,
glaube ich, nicht an.
Wie dem auch
sei, jetzt ist es sonnig, wir steigen an Bord, haben irgendwann unten im Bauch
des Schiffes unsere Räder angebunden und irgendwann noch tiefer, auf der
vierzehnten Sohle oder auch Bilge genannt,kurz über dem Kielschwein, unsere
Kabine gefunden.
Wir befinden
uns ziemlich tief unter der Wasserlinie. Die Kabinenfenster sind angemalt,
statt der Gardinen gibt es Landschafts-Aquarelle zu sehen .
»Hier unten
schaukelt es genau so wie oben am Schornstein, nur entgegengesetzt .«
Das tröstet
Ilse kaum, die sehr ungern mit Schiffen fährt und daher Pillen gegen
Reisekrankheit eingenommen hat. Warum sie dennoch häufig Urlaub in Ländern
macht, die man nur mit Schiffen oder Flugzeugen — oh, nein, fliegen tut sie gar
nicht — erreichen kann, ist nicht ganz klar. Sie läßt auch kaum eine Fähre aus,
schippert lieber bei Orsoy über den Rhein anstatt eine anständige Brücke bei
Duisburg-Ruhrort zu nehmen. Und über den Shannon mußten wir ja auch mit Kiel
und Reling, um den Weg abzukürzen.
Die
armseligen Pillen gegen die angebliche Seekrankheit, die sie noch nie gekriegt
hat, ich kann es bezeugen, schluckt sie mit einem ordentlichen Pint Guinness
hinunter.
Sie nennt
das: Ich muß meine Medizin nehmen.
»Heute abend
noch ‘mal, erinnere mich bitte daran !«
Sie weigert
sich, mir den Beipackzettel des Medikamentes zu zeigen, so kann ich nicht
nachprüfen, ob als Kontraindikation vielleicht der Genuß von Bitter Beer oder
Stout untersagt ist. Na, und ob ich sie ans Einnehmen erinnere. Zur Vorsicht
trinke ich jedesmal ein Pint mit, die Pillen lasse ich weg. Mutig und
optimistisch haben wir den ‘Sac Mal de Mer’, den ‘Sea Sickness Bag’, das
berüchtigte Tütchen, in unserer Kabine gelassen.
Wir sind auf
einer französischen Fähre. Im ‘Café du Port’ werden wir mit Salade Niçoise,
eisgekühlter Melone, Paella, Eis-Sahne-Sorbet und einem Krug herben Rotweins
verwöhnt.
Ilses
Äuglein glänzen.
Die See ist
ziemlich ruhig, Windstärke vier, schätze ich, die Sonne ist verschwunden, wir
schippern durch die übliche Kanalsuppe.
Zum
Medizineinnehmen lassen wir uns nach dem Essen in der Bar nieder, räkeln uns in
tiefen Ledersesseln. Auf einem weißen Steinway-Flügel spielt eine junge, blonde
Pianistin leise Unterhaltungsmusik, das Schiff wiegt sich sanft, es ist als ob
wir träumten. Reisen ist träumen...
Ilse liest
‘Three men in a boat’, ‘Drei Mann in einem Boot’, von Jerome K. Jerome, was in
bestimmten Abständen mit lautstarken Heiterkeitsausbrüchen verbunden ist.
Die blonde
Barpianistin bleibt stecken, fängt sich, spielt ‘Michelle’ von den Beatles. ‘Unser
Lied’ von Quiberon, damals, ja damals, es ist als ob wir träumten. Zurück zu
den drei Männern im Boot. Abgesehen davon, daß es sich um einen englischen
Autor und um eine Bootsfahrt auf der Themse handelt, außerdem noch ein Hund mit
an Bord ist, kann man sich mit Hilfe des tiefgründigen englischen Humors gut
auf den irischen einstellen, der zum
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