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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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der Tür wartete Jakob, Johannes' älterer Bruder, um sich anzuschließen. Wie es seine Art war, sprach er kein Wort. Hatte ihn etwa Zebedäus als Spion mitgeschickt? Macht auch nichts, dachte sich Johannes. Vater soll nur erfahren, mit wem ich mich herumtreibe.
    Natürlich war es »heller Wahn«, wie Andreas Johannes ins Ohr flüsterte, um diese Tageszeit Fische fangen zu wollen, Fische, die nicht einmal nachts ins Netz schwammen. Aber warum sollten sie Jesus nicht diesen Gefallen tun?
    Kein Mensch war am Ufer. Sie lösten die Boote vom Pflock und ruderten hinaus. Die Gluthitze flimmerte über der spiegelglatten Wasseroberfläche. Sicher hatten sich sämtliche Fische im kühlen Grunde zur Siesta versammelt.
    Eine Meile vom Ufer entfernt sagte Jesus: »Werft die Netze aus.«
    Vielleicht will er nur wissen, wie gut wir unser Handwerk beherrschen, dachte Simon und warf so geschickt wie möglich die Netze, die anderen desgleichen. Die Netze klatschten ins Wasser und sanken langsam nach unten. Simon sah gar nicht hin, sondern blickte Jesus in die Augen, die gerade aufblitzten wie bei einem, der eine riesige Überraschung bereithält. »Und nun holt die Netze wieder herauf!« Kleinigkeit, dachte Simon, aber es wurde Schwerstarbeit daraus. Die Netze waren voll, proppenvoll, und schwer wie Blei. Jesus mußte mithelfen, sie hochzuziehen, zu zweit hätten sie es kaum geschafft. Sie keuchten, schwitzten, lachten, schrien. Vorsicht, das Netz reißt! Da hinüber, Achtung! Und Andreas: »Der helle Wahn, der helle Wahn!« Johannes und Jakob hatten es nicht leichter; fassungslos und glücklich starrten sie auf die Hunderte, Tausende von Fischen — Achtpfünder, Zehnpfünder darunter — , die sich wie von einer magischen Macht angezogen in ihren Netzen verstrickt hatten. Jakob der Praktische, gewohnt, beim Fang sofort die Verkaufssumme zu überschlagen, gab alles Ausrechnen auf — so viel fingen sie sonst in den besten Fangwochen nicht.
    Beide Boote waren so voll, daß sie fast versanken.
    Simon ließ sich erschöpft auf die Ruderbank fallen und wischte sich den Schweiß vom Körper, Andreas schleuderte die kleinen Fische wieder ins Wasser zurück. »Bis bald!« rief er ihnen übermütig nach. Jesus lehnte am Mast und sah Simon an. Simon fühlte, daß ihn Jesus anblickte, er hob den Kopf — und ließ ihn beschämt wieder sinken; wie der Wille des Meisters die Tiefen des Sees aufgewühlt und die Fische nach oben getrieben hatte, so wirbelte sein Blick die Tiefen seines Herzens auf, alles, was er zu verbergen, zu vergessen, zu verleugnen suchte; welch ein Abgrund zwischen ihm, dem armseligen Fischer, der seinem Temperament, seinem Zorn, seiner Feigheit unterworfen war, und diesem Mann von Nazareth, der über Fische wie über Dämonen, über das Fieber wie über die Ängste gebietet. Erschüttert sank er auf die Knie, inmitten der zappelnden Fischleiber, und stammelte: »Geh weg von mir, Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!«
    Jesus neigte sich zu ihm, faßte ihn unter dem Kinn und hob seinen Kopf. »Simon«, sagte er, »fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.«
    Und Simon folgte ihm nach.

    *

    Zwischen den jungen Leuten, Simon, Andreas, Johannes und Jakobus, herrschte das freundschaftlichste Verhältnis — die ältere Generation, Frau Lea und Salome, die Frau des Zebedäus, pflegten eine eher unterkühlte Nachbarschaft. Den lebensnotwendigen Dorfklatsch teilten sie sich durchs Küchenfenster mit.
    Heute aber, nachdem der Rabbi aus Nazareth auf dramatische Art in ihre Familien eingegriffen hatte, dürstete Frau Salome nach einem gründlichen Meinungsaustausch mit Frau Lea. Sie wartete ab, bis die Luft rein war — das heißt bis Gemüsefrau, Bäckermeisterin und Levitenwitwe, neugiergestillt, Lea verlassen hatten; dann schlüpfte sie geschwind durch die Hintertür ins Nachbarhaus. Sie fand Frau Lea wie ihre Wohnung in aufgeräumtem Zustand vor und gratulierte ihr zur überraschenden Genesung. Den Ausdruck »wunderbare Heilung« vermied sie, hielt sie sich doch für eine aufgeklärte Frau. Lea dankte höflich, bot ihr den besten Stuhl an und setzte ihr ein Täßchen Honigmilch und zwei Eierwecken vor.
    »Haben Sie schon gehört, was die Leute für einen Unsinn über den gestrigen Fischfang plappern? Da wollte mir eben die Witwe des Leviten — Sie kennen ja diese geschwätzige Tirza — weismachen, Jesus habe geheime Lockrufe ausgestoßen, die nur für Fische vernehmbar sind, und da seien

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