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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Botendienste führten ihn in das Innere der herrschaftlichen Villen und luftigen Landhäuser, die so ganz anders waren als die engen, muffigen Lehmziegelbauten von Betsaida. Und wenn ihm eine elegante Dame zum Dank eine Drachme in die Hand und ein Küßchen auf die Stirn drückte, freute er sich über den Kuß fast noch mehr als über die Drachme.
    Eines Tages lernte er den Bademeister Fronto kennen. Ursprünglich hieß er Manasse und stammte aus einem elenden Bergnest in Obergaliläa. Aber mit fünfzehn Jahren hatte er mit dem Namen und den langen jüdischen Gewändern auch seine Herkunft und seinen Glauben abgestreift. Als Ringkämpfer fing er an, fand rasch kapitalkräftige Gönner und Gönnerinnen, heiratete die reichste und älteste von ihnen und wohnte seit ihrem seligen Hinscheiden in einer prächtigen Villa am See, natürlich nur im Winter; im schwülheißen Sommer zog er sich in sein Landhaus am Hermongebirge zurück.
    Dieser Fronto wurde Philipps Vorbild. Auf seinen Rat hin trainierte er seinen Körper, obwohl die schwere Arbeit eines Fischers die Muskeln genügend gestählt hatte; er lernte fleißig Griechisch und eignete sich die wichtigsten lateinischen Wendungen an. Sein Haar schnitt er kurz, nach römischer Sitte ; den sprossenden Bart rasierte er ab. Wenn er von Betsaida nach Tiberias entwich, zog er den kurzen Römerkittel an und streifte einen dünnen Kaftan darüber. Auf halben Wege warf er den Kaftan ab und versteckte ihn in einer verlassenen Schafhürde. Dann erkannte niemand mehr seine jüdische Herkunft. In Tiberias schloß er sich immer enger an die Athleten an, welche die Gäste unterhalten und belustigen mußten.
    Als besondere Mutprobe galt es, von der obersten Plattform des Leuchtturms kopfüber in den See zu springen und die Silbermünzen heraufzuholen, die stinkreiche Gäste hineingeworfen hatten. Philipp gelang dieses Kunststück bald, und er wiederholte es, sooft man es von ihm wünschte, weniger wegen der Münzen als wegen der unverhohlenen Bewunderung, die sein schlanker, sehniger, braungebrannter Körper bei den Damen erregte, wenn er, drei Atemzüge lang, hochgestreckt auf der Plattform stand, federnd absprang und in elegantem Bogen spritzerlos ins Wasser tauchte. Wenn die Zuschauer Beifall klatschten, zuckte ihm manchmal der Gedanke durch den Kopf, ob sie auch klatschen würden, wenn sie wüßten, daß er ein verachteter Judenbengel war?
    Leider waren — wie das an Kurorten üblich ist — die meisten Damen doppelt und dreifach so alt wie er, die wenigen jüngeren befanden sich in festen Händen. Die Schönsten wurden von ihren Ehemännern eifersüchtig bewacht. So reichte es nur zu flüchtigen Flirts. Auf die große Liebe wartete er noch immer.
    Ganz anders sein Freund Natanael, ein hundertprozentiger Israelit. Natanael haßte seinen Fischerberuf, haßte den See mit seinen Tücken, haßte den Markt mit seinen wechselnden Preisen, er liebte die stille Arbeit in der Stube, versenkte sich mit der Ausdauer von sieben Schriftgelehrten in die heiligen Bücher, notierte sich Unklarheiten, die er demnächst Amos, einem jungen Pharisäer, vorlegen wollte, schwelgte förmlich in den Feinheiten des Gesetzes und hätte sich am liebsten ganz dem Studium der Theologie gewidmet, aber sein Vater hatte ihm erklärt: Bis du zwanzig bist, arbeitest du in meinem Betrieb. Und so mußte er noch ein halbes Jahr gehorchen.
    Bis in die Morgenstunden hatte er mit seinem Vater und älteren Bruder gefischt. Während die beiden auf den Markt eilten, um den Fang zu verkaufen, eilte Natanael noch schneller nach Hause, um die ruhigen Vormittagsstunden für die Lektüre zu benutzen; denn wenn sie vom Markte zurückkamen, ging es stets schrecklich laut zu. Vater hörte schlecht, und Mutter mußte ihm jeden Satz in die Ohren schreien. Darm flüchtete Natanael, der sich in frischer Luft eigentlich nur aufhielt, um die Sauerstoffzufuhr für das Gehirn zu verbessern (dieses Wissen hatte ihm Philipp aus Ti-berias importiert), unter einem schattigen Feigenbaum an der Hausmauer, wohin der Familienlärm nur noch gedämpft drang.
    Er war ein stattlicher junger Mann von ebenmäßigen Gesichtszügen, immer sauber gekleidet und tadellos rasiert. Kein Wunder, daß schon mancher töchterbesitzende Vater mit seinen Eltern über eine Verbindung der Familien verhandelt hatte; doch Natanael hatte bisher energisch Einspruch erhoben. Er brauchte eine Frau, die gewillt war, mit ihm aus dem Fischernest in eine Stadt überzusiedeln,

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