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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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Augen. Aber während sein Körper müde war, war sein Geist hellwach. Ihm kam eine Idee. Felt räusperte sich und kramte in seiner Tasche, die er neben einer kurzen Steinsäule abgestellt hatte. Das Seil. Brüchige, trockene Holzstücke. Zunder, Feuersteine. Der Nordweiser. Das Geld der jungen Kaufleute, nutzlos. Das kleine Päckchen, weich gefüllt. Er wollte es nicht öffnen, aber es war gut, dass es noch da war. Und auch: Wigos Buch. Felt legte sich auf den Rücken und schlug es auf, blätterte darin. Er konnte die eng beschriebenen Seiten nicht lesen   – und war enttäuscht. Er besah sich Wigos letzten Eintrag, der kein Satz mehr hatte werden wollen. Er sah den Punkt, tief eingedrückt, wo Wigo den Stift aufgesetzt hatte. Von dort lief eine zittrige Linie zu einem anderen Punkt   – da war der Stift gebrochen. Über die ganze Seite hatten Wigos Finger die bröcklige Kohle zu schwarzen Wolken verschmiert. Oder zum Rauch eines großen Feuers.
    »Ein denkwürdiger Moment.« Felt fuhr hoch, Reva hatte unbemerkt den Raum betreten. »Ein welsischer Offizier liest am helllichten Tag in einem Buch. Und vergisst darüber seine Wachsamkeit. Wenn so etwas möglich ist, wendet sich vielleicht doch alles zum Guten.«
    Felt grinste schief. Er stand auf, legte das Buch auf die niedrige Säule. »Ich muss dich enttäuschen, ich habe nicht gelesen. Ich kann es   … immer noch nicht.«
    Reva nahm das Buch, schlug es auf.
    »So einfach ist es nun auch wieder nicht. Die meisten Fähigkeiten bekommt man nicht geschenkt, nicht einmal hier. Dukonntest nicht lesen, bevor du herkamst. Du kannst es immer noch nicht. Hättest du Welsisch lesen können, dann könntest du jetzt auch Pramsch lesen.«
    Sie begann auf und ab zu gehen, blätterte weiter in dem Buch und las.
    »Wigo war ein begabter Mann. Sein Schreibstil ist ganz außergewöhnlich.«
    »Inwiefern? Viel hatte er nicht aufzuschreiben. Das erste große Ereignis unserer Reise   … hat er nicht überlebt.«
    »Du glaubst, er habe eine Art Reisetagebuch geführt?«
    »Das war doch seine Aufgabe, oder? Als Chronist.«
    »Mag sein.« Reva blieb stehen, klappte das Buch zu, mit dem Finger zwischen den Seiten. »Aber du solltest nicht von dir auf andere schließen. Manche Menschen halten sich nicht an die Vorgaben.«
    Felt setzte sich, schwieg erwartungsvoll. So wie sie ihm von Zeit zu Zeit fremd wurde, so war Reva ihm in anderen Momenten vertraut, als kenne er sie sein ganzes Leben. Dies war ein solcher Moment, dies war eine ihrer typischen Einleitungen, die früher oder später zu etwas Wesentlichem führten.
    »Wigo hält sich an gar nichts. Weder inhaltlich noch formal. Eine Chronik ist das jedenfalls nicht, er notiert nicht einmal die Daten. Er springt in den Zeiten, er beschreibt, formlos, ohne Rhythmus, ohne Reim. So etwas habe ich noch nie gelesen. Nun, ich habe lange kein Buch mehr gelesen, vielleicht schreibt man heute so   … Du kommst natürlich auch vor. Aber auch deine Frau   – Wigo ist ihr nie begegnet, oder?«
    »Nicht, dass ich wüsste.« Felt wurde unruhig. »Was schreibt er denn über Estrid?«
    Sie ignorierte seine Frage. Las. Felt sah ihre Augen im Zickzack über die Zeilen fliegen.
    »Er wollte zu Ende erzählen«, sagte Reva zusammenhangslos,dann fragte sie: »Er hat dir von der Feuerschlacht erzählt, nicht wahr? Von Asing und Asli, den Schwestern, den segurischen Adeptinnen.«
    »Ja. Erst im Theater, in Pram. Und dann den Schluss, in   … der Höhle.«
    »Ja, das weiß ich. Aber du hast ihn nicht zu Ende erzählen lassen.«
    »Asing ist als Funkenregen in den Himmel gefallen«, verteidigte sich Felt. »Sardes hat Pram gerettet   – das war das Ende.«
    »Und was wurde aus Asli?«
    »Sie hat sich selbst entzündet. Und Goradt und die letzten Welsen gerettet   … und dann   …«
    »Manche Geschichten darf man nicht zu sehr zusammenraffen, sonst verlieren sie den Sinn.« Sie legte eine Hand auf die geöffneten Seiten. »Wigo hat den Schwestern sehr viel Raum gegeben in seinem Buch. Er hat sich Gedanken gemacht. Er hat die Gründe gesucht für die Bedrohung, die über dem Kontinent liegt. Er hat in die Vergangenheit geschaut, tief hinein ins große Sterben, und von dort aus Fäden in die Zukunft gesponnen. Etwas, das ich nie tun würde   – keine Unda tut das. Wir sehen nicht in die Zukunft. Wir sind die Vergangenheit. Wir sind die Wächterinnen, wir bewahren die Erinnerung. Wir sammeln die Ereignisse, wir werten nicht und wir deuten nicht.«

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