Zwölf Wasser Zu den Anfängen
lassen, das besonders war, das das beste war. Der das, woran sein Herz hing, nicht für sich behalten, sondern Felt gegeben hatte. Er erinnerte sich an Kersted, der zu ungestüm, zu offenherzig war für einen Welsen und sich dessen nicht schämte, im Gegenteil. Kersted verkehrte die Schwäche zur Tugend, er fragte nach, er richtete seinen Mut auf an anderen, wenn er selbst nicht mehr konnte, und er war ehrlich. Felt erinnerte sich an Gerders Loyalität, die auch im Tod nicht gebrochen worden war. Und er erinnerte sich an Estrid, an die Geduld, die sie mit ihm gehabt hatte. Alles, was siesich für ihr Leben erhofft hatte, hatte sie ohne Zögern eingetauscht für ein Leben mit ihm: Sie war fähig zu lieben. Felt löste die Erinnerung an diese Liebe von der Enttäuschung, mit der sie geendet hatte, und stellte sie als Wache vor die Tür, die verschlossen bleiben musste. Sie würde nicht fallen, diese Liebe war unüberwindbar. Er verstärkte die Mauern seines Seelengebäudes mit der Erinnerung an Markens Freundschaft, Gerders Ergebenheit, Kersteds Ehrlichkeit – er baute sich selbst aus zu einer Festung, auf deren Wällen er seine Wache halten konnte.
Er bereitete sich auf den Kampf vor, den er aufnehmen wollte. Er richtete sich darauf ein, der Letzte zu sein. Derjenige, dem kein anderer mehr helfen konnte, wenn sein Inneres einstürzen und die Tür zur dunklen Kammer aufspringen würde. Er schlief auf dem steinernen Sockel, Wigos Buch war sein Kissen. Er trank das Wasser der Quelle. Er ging seine Runde, Tag um Tag, und baute an der Festung seiner Menschlichkeit.
Erst als Felt sicher war, dass er nichts mehr verbessern konnte, dass alle auf ihren Posten waren, dass seine Verteidigung auch der grimmigsten Belagerung standhalten würde, rief er Babu zu sich und bat auch Reva, ihm in sein Quartier im Kugelbau zu folgen.
ACHTES KAPITEL
ABTRENNUNG
Babu wusste nicht, was er sagen sollte. Ein Scherz wäre unangemessen und jedes Wort des Bedauerns ebenfalls. Also blickte er schweigend auf Felt, der auf dem langgezogenen Sockel saß. Die eine Hand hatte er auf den Oberschenkel gestützt, den anderen Arm auf die niedrige Steinsäule vor ihm gelegt, ganz so, als säße er im Wirtshaus und warte auf sein Bier. Aber kein Wirt würde kommen, niemand würde einen Krug abstellen neben das, was dort auf dem Stein lag.
Felt hatte den Verband entfernt und die Verwüstung darunter sichtbar gemacht: Der Mittelfinger seiner rechten Hand war vollständig schwarz, der daneben ungefähr bis zur Hälfte. Den Übergang von totem zu lebendem Fleisch markierte ein rötlicher Ring. Der süße Geruch der Fäulnis schwebte in der Luft.
Babu war nicht zimperlich, aber Schlachtvieh zu zerteilen war etwas anderes, als einem lebenden Mann zwei Finger abzuschneiden. Reva warf ihm einen kurzen Blick zu, sie ging wie immer auf und ab, lautlos.
»Ich mache es selbst, Babu, aber ich brauche deine Hilfe. Und wir brauchen den Dolch.«
Babu legte ihn auf den Stein neben Felts verwesende Hand.
»Gut wäre, wenn wir noch einen Faden hätten, es geht auch ohne, aber Nähen wäre mir lieber. Mein Hemd taugt nichts, es ist zu grob und außerdem reißen die Fäden zu schnell.«
Babus Hemd war aus Leder. Reva blieb stehen, bückte sich und nestelte am Saum ihres Gewands. Sie reichte Felt ein schimmerndes Etwas, nicht dicker als ein Haar. Felt nahm den Faden zwischen die Zähne, zog, grinste, wickelte ihn mit dem linken Zeigefinger auf.
»Sehr gut.«
»Und eine Nadel?«, fragte Babu.
Felt blickte kurz auf seine toten schwarzen Finger.
»Die Nadel bekommen wir später.«
Ein Flüstern wehte durch den Raum, Felt hob den Kopf.
»Ich kann keine Zuschauer brauchen.«
Der Druck, mit dem er diesen Satz zwischen schmalen Lippen herausgepresst hatte, verriet, wie nervös er war. Er schloss kurz die Augen, der Glanz auf seiner Stirn verschwand: Laszkalis hatte ihm den Schweiß getrocknet. Felt holte tief Luft.
»Mach mir einen Knebel.«
Babu schnitt ein Stück von den Lederbinden ab, umwickelte mehrmals seine Hand, zog die so entstandene Schlaufe ab und umschlang sie dann fest mit dem Rest des Lederstreifens. In kürzester Zeit hatte er ein stabiles, längliches Knäuel gemacht. Er hielt es Felt hin. Der nahm es nicht, sein Blick hing noch an Babus Hand wie an einem Wunder. Babu legte den Knebel auf den Stein.
»Gut.« Felt räusperte sich. »Ich sage jetzt, was ich vorhabe und wobei ich Hilfe brauche; ich glaube nicht, dass ich das gleich noch kann.
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