Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
aus Sümpfen, kleinen Seen, Wäldern und dichtem Unterholz, in deren Mitte der Fluß sich schäumend seinen Weg bahnte. Obgleich ihr die gewundenen Flußarme fehlten, erinnerte die Gegend Ayla an das Delta des Großen Mutter Flusses, freilich in kleinerem Maßstab. Die Weiden und Büsche, die an den Ufern des Stroms aus dem Wasser zu wachsen schienen, vermittelten ihr eine Vorstellung von dem Ausmaß der durch die jüngsten Regenfälle verursachten Überschwemmungen und von der Größe des Landes, das bereits dem Fluß zum Opfer gefallen war.
Als Winnie den Schritt wechselte, da ihre Hufe plötzlich in Sand versanken, wandte Ayla ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer unmittelbaren Umgebung zu. Die kleinen Bäche, die die Terrasse oben durchschnitten hatten, waren zu tiefen Flußbetten geworden, neben denen sich Wanderdünen aus sandigem Mergel erhoben. Die Pferde mußten sich mühsam voranarbeiten und warfen bei jedem Schritt die lockere, kalkreiche Erde auf.
Gegen Abend, als die untergehende Sonne, fast blendend in ihrer Helligkeit, sich dem Horizont näherte, hielten Ayla und Jondalar Ausschau nach einem Lagerplatz. Sie bemerkten, daß der feine Treibsand in der Nähe der Schwemmebene seinen Charakter geändert hatte. Wie auf den oberen Terrassen bestand er vornehmlich aus Löß - vom dem Mahlen des Gletschereise zu Staub zerriebenen und vom Wind abgelagertem Felsgestein-, aber das über die Ufer getretene Hochwasser des Stroms hatte den Boden mit lehmigem Schwemmsand angereichert, der den Untergrund härter werden ließ. Als sie vertraute Steppengräser neben dem Flußlauf sahen, dem sie folgten - einem der vielen, die, aus den Bergen kommend, der Schwester zustrebten -, beschlossen sie, sich hier für die Nacht niederzulassen.
Nachdem sie ihr Zelt aufgeschlagen hatten, gingen sie in entgegengesetzte Richtungen, um zu jagen. Ayla nahm Wolf mit, der ihr voranlief und nach kurzer Zeit eine Kette von Schneehühnern aufscheuchte. Er sprang einen der Vögel an und schlug seine Fänge in das Gefieder, während Ayla mit ihrer Schleuder einen anderen herunterholte, der sich bereits sicher in der Luft wähnte. Sie dachte zunächst daran, Wolf das Tier zu lassen, das er gefangen hatte; aber als er sich weigerte, es sofort freizugeben, änderte sie ihre Absicht. Obgleich ein Schneehuhn sicherlich ausgereicht hätte, um ihren und Jondalars Hunger zu stillen, wollte sie Wolf einschärfen, daß er seine Beute mit ihnen zu teilen hatte, wenn sie es ihm befahl. Sie wußte nicht, was ihnen noch bevorstand.
Sie verfolgte den Gedanken nicht weiter, doch die kühle Luft hatte sie plötzlich erkennen lassen, daß sie mitten in der kalten Jahreszeit in ein unbekanntes Land reisten. Die Leute, die sie gekannt hatte, sowohl der Clan als auch die Mamutoi, reisten selten weit während der strengen Eiszeitwinter. Sie ließen sich an einem Platz nieder, der geschützt war vor der bitteren Kälte und den eisigen Winden; und sie lebten von den Vorräten, die sie im Sommer und Herbst angelegt hatten. Die Vorstellung, im Winter zu reisen, behagte ihr ganz und gar nicht.
Jondalar hatte mit seiner Speerschleuder einen Hasen erlegt, den sie für eine spätere Mahlzeit aufzuheben gedachten. Ayla wollte die Schneehühner an einem Spieß über dem Feuer rösten; aber sie hatten ihr Lager in der offenen Steppe aufgeschlagen, am Ufer eines Flusses, an dem nur wenig Unterholz wuchs. Als sie sich umsah, erspähte sie zwei Geweih he - ungleich in der Größe und offensichtlich von verschie-denen Tieren stammend -, die im vorigen Jahr abgeworfen worden waren. Obwohl Geweihstangen viel schwerer durchzu-brechen waren als Holz, gelang es ihr, sie mit Jondalars Hilfe, einem scharfen Flintmesser und einer kleinen Axt, die sie im Gürtel trug, zu zerteilen. Ayla benutzte eine Geweihstange als Bratspieß und die abgetrennten Sprossen als Gabeln für den Spieß. Geweihe waren praktischer als Holz, weil sie nur schwer Feuer fingen.
Sie gab Wolf seinen Anteil an den Schneehühnern, zusammen mit einigen großen Schilfrohrwurzeln, die sie aus einem stehenden Gewässer neben dem Fluß ausgegraben hatte, und ein paar wohlschmeckende Wiesenpilzen. Nach ihrem Abendessen setzten sie sich ans Feuer und betrachteten den dunkel werdenden Himmel. Die Tage wurden jetzt kürzer, und sie waren abends nicht mehr so müde - vor allem, weil es weniger anstrengend war, mit den Pferden über das offene Land zu reiten, als in den Tagen zuvor, als sie die bewaldeten Berge durchqueren
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