0008 - Der Werwolf
auf.
Zamorra ließ das Springmesser aufschnellen.
Dieses Geräusch rief bei dem Kerl, der nicht älter als zwanzig sein konnte, größtes Entsetzen hervor. Er setzte sich mit furchtgeweiteten Augen auf und rutschte bis zur Wand.
»Nicht!« schrie er krächzend. »Tun Sie es nicht!«
»Wie du siehst, ist es leichter, auszuteilen, als einzustecken«, knurrte Zamorra. »Im vorliegenden Fall heißt das: Es ist leichter, jemanden zu erschlagen, als erstochen zu werden.«
Der Junge wurde blaß.
»Sie wollen doch nicht…«
»Warum wolltest du mich erschlagen?« fragte Zamorra bissig.
»Sie sind hierher zurückgekommen. Ich habe auf Sie gewartet. Jeden Tag habe ich hier auf Sie gewartet. Weil ich wußte, daß es den Mörder früher oder später an den Tatort zurücktreiben würde. Sie sind zurückgekommen. Deshalb wollte ich Sie erschlagen. Weil Sie Fred ermordet haben!«
»Ich bin zum erstenmal hier, Junge!« sagte Zamorra fest.
»Ich glaube Ihnen nicht!«
»Wer bist du? Wie heißt du?«
»Ich bin Hal Candrix. Freds Bruder. Sie haben Fred umgebracht. Warum haben Sie das getan?«
»Verdammt noch mal, ich habe niemanden umgebracht!« schrie Zamorra wütend.
»Sie sind an den Tatort zurückgekehrt, und nun werden Sie mich töten. Tun Sie es. Tun Sie es schnell! Ich weiß, daß ich verloren bin! Quälen Sie mich nicht länger.«
Der Junge schloß verzweifelt die Augen und erwartete den tödlichen Stoß.
Zamorra klappte das Messer zusammen und drückte es ihm in die feuchte Hand.
Verdattert öffnete Hal Candrix die Augen.
»Ich bin kein Mörder, Hal«, sagte Zamorra. Er sagte dem Jungen, wer er war und was er vorhatte.
Hal Candrix schüttelte entsetzt den Kopf.
»O Gott! O Gott! Und ich hätte Sie beinahe erschlagen!« stöhnte er bestürzt. »Verzeihen Sie mir, lieber guter Herr Professor! Bitte verzeihen Sie mir! Ich weiß nicht, wie ich das wiedergutmachen kann.«
Zamorra lächelte.
»Zum Glück bin ich in der Lage, dir zu verzeihen, Hal. Du mußt mir versprechen, so etwas nicht wieder zu tun.«
Der Junge nickte schnell.
»Ja, Herr Professor. Ja, das will ich versprechen.« Er erhob sich und rieb sich den immer noch schmerzenden Hals. Er hustete mehrmals und setzte sich auf eine schmutzige Werkbank. »Ich habe an meinem Bruder sehr gehangen. Sein Verlust hat mich schwer erschüttert, wie Sie sich denken können. In mir wuchs eine so furchtbare Wut, daß ich meinte, sie würde mich umbringen, wenn ich nicht irgend etwas dagegen unternähme. Ich wollte den Tod meines Bruders rächen. Deshalb kam ich Tag für Tag hierher und legte mich auf die Lauer. Ich hoffte, daß irgendwann mal der verfluchte Mörder auftauchen würde, und dann würde ich kurzen Prozeß mit ihm machen. Einfach erschlagen wollte ich ihn.«
»Du kannst von Glück sagen, daß sich kein alter Penner hier herein verirrte, um sich eine Bleibe für die kommende Nacht zu suchen. Dann hättest du nämlich jetzt einen sauberen Mord am Hals.«
Hal Candrix stieß entsetzt hervor: »Um Gottes willen!«
»Es war nicht gerade sehr intelligent, was du angestellt hast!« sagte Zamorra vorwurfsvoll, während er sich den Schmutz von den Kleidern klopfte.
»Ich weiß es, Herr Professor. Jetzt weiß ich es«, sagte der Junge kleinlaut. »Möchten Sie mit mir nach vorn ins Haus kommen?«
»Ja.«
»Die Polizei hat mir die Schlüssel gegeben.«
»Hat Fred allein in dem Haus gewohnt?«
»Ja.«
»Warum? Ich dachte, du hättest an deinem Bruder sehr gehangen?«
»Das habe ich. Aber ich hänge noch mehr an meiner Freundin«, sagte Hal Candrix. »Sie heißt Elsie Madigan. Ich wohne seit einem halben Jahr bei ihr, kam aber mindestens einmal pro Woche hierher, um nach Fred zu sehen. Obwohl er das Alleinsein haßte, wollte er nicht, daß ich Elsie ins Haus bringe. Er redete von Moral und daß sich das nicht gehörte – deshalb bin ich zu Elsie gezogen. Sie hat keine Eltern mehr und wohnt in einem riesigen Haus.«
Sie verließen die Werkstatt.
»Professor für Parapsychologie sind Sie also«, sagte Hal Candrix, als sie das Wohnzimmer betraten.
»Ja«, erwiderte Professor Zamorra und setzte sich unaufgefordert.
»Und welchen Beruf haben Sie?«
Candrix lächelte.
»Sie dürfen mich ruhig weiterhin duzen, Herr Professor.«
»Also, welchen Beruf hast du?«
»Ich bin Metzger. Aber der Beruf macht mir keinen Spaß.«
»Was wärst du lieber? Töpfer?«
»Nein. Töpfer ist nichts für mich. Automechaniker wäre ich gern. Dann würde ich mir einen
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