0009 - Der Hexenmeister
wer behauptete, daß hier oben niemals Tau fiel. Das sonnenverbrannte Gras raschelte unter den Füßen des nächtlichen Besuchers.
Atemlos und schweißnaß verharrte der Amerikaner unmittelbar vor dem Bauwerk, zögerte, den schützenden Wald endgültig zu verlassen.
Wie in Trance setzte Bill Fleming schließlich seinen Weg fort. Einmal strauchelte er. Im Gras lag ein Bukranion, eine Verzierung in Form eines Ochsenschädels, aus Stein gehauen, ein Wahrzeichen der ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹.
Der Amerikaner stellte fest, daß das, was unten vom Dorf aus wie ein regelloses Durcheinander geborstener Steine gewirkt hatte, in Wirklichkeit ein Oktagon, ein Achteckbau, gewesen sein mußte.
Bill Fleming fand die Apsis, den Altarraum der Kirche, ziemlich gut erhalten. Maskarone, unglaublich häßliche Steinfratzen, fremdartig und wild, wie einem griechischen Fest des Gottes Bacchus entlehnt, schmückten die Stirnseite.
In der Nische einer Konche, einem Anbau am Kirchenhauptraum, stand das schwarze Heiligtum der Sekte, ein Menhir aus Basalt, ein roh behauener langer Stein, wie er in der keltischen Religion Verwendung gefunden hatte. Fresken an einer zersprungenen Wand erzählten von Teufelsopfern, Blutsaugern und Leichenfressern und schilderten die magische Kraft von Salamanderblut.
Wie ferngesteuert quälte sich der Amerikaner über Trümmer und Schuttberge. Er fand ein kaum schulterbreites Loch im Boden. Ohne zu überlegen zwängte sich der Mann hinein.
Hier herrschte der bestialische Geruch einer Grabkammer. Spinnweben legten sich auf das Gesicht des Eindringlings. Eine warzenübersäte Kröte, feucht und glitschig, sprang Bill Fleming vor die Brust, berührte seinen nackten Hals. Mit einem heftigen Ruck schüttelte er das eklige Tier ab.
Bill Fleming drang weiter vor.
Der unterirdische Gang führte in Windungen tiefer in den Berg.
Hier und da waren in Nischen Berge von Totengebeinen aufgeschichtet. Hier mochten die Anhänger der Geheimsekte ihre letzte Ruhe gefunden haben, soweit sie vor der Eroberung der Kultstätte gestorben waren.
Die Spuren verrieten, daß die Zerstörer der Basilika auch diesen unterirdischen Gang gefunden und durchstöbert hatten. Bill Flemings Hoffnung, trotzdem noch einiges von wissenschaftlichem Interesse aufzuspüren, litt nicht unter dieser Beobachtung. Wie von fremden Fäden gezogen quälte er sich durch das Labyrinth.
Schließlich wurde der Gang so eng, daß er kriechen mußte. Steinbrocken polterten von der Decke. Der Berg arbeitete. Ständig war die Luft erfüllt mit einem leisen Ächzen und Knirschen.
Die Temperatur in dieser Steinröhre lag ziemlich hoch. Fleming geriet ins Schwitzen.
Der Gang endete an einem wassergefüllten Loch, das grün leuchtend und unergründlich den Weg versperrte. Das Wasser war eiskalt.
Woher nahm Fleming die Gewißheit, daß seine Expedition hier nicht zu Ende sein konnte? Ohne zu zögern ließ er sich ins Wasser gleiten. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die Felswand, die er hinabtauchte. Da war ein unerklärliches Phosphoreszieren in dieser unheimlichen Unterwelt. Der kreisrunde Leuchtfleck saß ziemlich tief unten, fast am Fuße der Felswand. Er wirkte wie ein magisches Auge.
Der Amerikaner war ein geübter Sportler und guter Schwimmer.
Trotzdem ging ihm fast die Luft aus, ehe er sein Ziel erreichte. Bunte Sterne flimmerten vor seinen Augen. Sein Kopf drohte zu platzen.
Der Lufthunger wurde unerträglich.
Bill Fleming schaffte es.
Auf der anderen Seite setzte sich der unterbrochene Gang fort.
Woher kam die klare, kühle Luft, die in seine Lungen strömte? Bill Fleming dachte nicht darüber nach. Er genoß einfach dieses herrliche Gefühl.
Dann weitete sich der Gang. Er wurde breit wie ein Fußballfeld.
Bill Fleming erhob sich. Seine Kleider waren tropfnaß. Zu seinen Füßen bildete sich eine Wasserlache. Er strich das klebende Haar aus der Stirn.
Bills Blick wanderte umher. Er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Stalaktiten hingen von der Decke der Kalksteinhöhle, scharf wie Schwerter, helle Gebilde, in Jahrtausenden entstanden.
Als sich Bill Fleming einigermaßen erholt hatte, ging er weiter.
Aus einem winzigen Spalt in der Decke fiel etwas Licht. Und dann hörte Bill Fleming den Gesang. Geradewegs marschierte er darauf zu.
Als der Amerikaner um eine Biegung kam, blieb er wie angewurzelt stehen. Was er sah, war so phantastisch, daß sich sein wissenschaftlich geschulter Verstand weigern wollte, daran zu
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