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0009 - Der Hexenmeister

0009 - Der Hexenmeister

Titel: 0009 - Der Hexenmeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Hartsch
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die Stufen hinaufeilte.
    »Ich arbeite an einem Buch über die Albigenser und habe von der ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹ erfahren, die hier in den Montagne Noire zu Hause war. Ich möchte mir morgen die Kirchenruine ansehen«, gab der Amerikaner bereitwillig Auskunft.
    Armand ließ vor Schreck fast die Lampe fallen. Er wirbelte herum und starrte Bill Fleming entgeistert an.
    Der Wirt riß sein gesundes Auge weit auf. Sein Stahlhaken am rechten Arm glänzte und blitzte im Schein der Lampe.
    »Das werden Sie nicht tun!« erklärte Armand kategorisch. »Niemand hat das Recht, Unheil über dieses Dorf zu bringen. Wir haben es ohnehin schwer genug. Diese verfluchte Nachbarschaft hält uns auf Trab. Jeder vermutet in jedem einen Zauberer. Kaum eine besonders hübsche Frau, über die nicht getuschelt wird, sie stehe mit dem Satan im Bunde, sei seine Braut. Das unglückliche Mädchen, das schwanger wird, ohne verheiratet zu sein! Die Nachbarn zerreißen sich die Mäuler. Jeder erwartet ein Wesen mit Krötenkopf und Bocksbein. Erst letztes Jahr hat sich in meinem Brunnen vor dem Haus – Sie haben ihn sicher gesehen – ein solches Mädchen das Leben genommen. Sie spukt bisweilen bei Mondschein durch das Dorf, weil ihre Seele keine Ruhe findet. Glauben Sie mir, Monsieur, es ist nicht leicht, in Pelote zu leben.«
    »Das ist ja finsterstes Mittelalter«, meinte Bill Fleming ärgerlich.
    »Das sehen Sie so, weil Sie keine Ahnung haben«, winkte der Wirt ab und lächelte überlegen. »Ich war in Asien, Monsieur. Ich habe neun Jahre in Indochina gekämpft. Ich sage Ihnen, es gibt Dinge, die wir Abendländer nie begreifen können. Ich bin jedenfalls geheilt.«
    »Machen Sie, was Sie wollen«, sagte Bill Fleming. »Es gibt jedenfalls kein Gesetz, das mir verbietet, die Kirchenruine zu besichtigen. Also werde ich es morgen tun. Und was Sie betrifft, Armand, wäre es nicht besser, wenn Sie sich um die alte Dame im Keller kümmern würden? Das könnte Ihre Mutter sein.«
    Bill nahm dem Wirt die Lampe aus der Hand und verabschiedete sich von Nicole Duval. Dann ging er in sein Zimmer.
    ***
    Die Luft im Raum war abgestanden. Bill Fleming liebte es, bei offenem Fenster zu schlafen. Daher stieß er die beiden Fensterflügel weit auf und pumpte die kühle Nachtluft in seine Lungen.
    Da sah er wieder die unheimliche Ruine! Still und verlassen lag sie im silbernen Mondlicht.
    Welch ein Zufall, dachte Bill, daß ich ausgerechnet ein Zimmer erwischen mußte mit dieser Aussicht auf den Col de la Chutte!
    Bill Fleming veränderte sich zusehends. Seine Augen bekamen den abwesenden Ausdruck eines Mondsüchtigen. Wie trunken starrte er hinauf zum Berg, ließ seinen Blick über die schwarzen Mauerreste schweifen, vor denen er so oft gewarnt worden war.
    Ich bin wie hypnotisiert, stellte er fest. Verdammt, ich muß mich zusammenreißen. Schließlich bin ich Wissenschaftler.
    Trotz allem fühlte Fleming, daß es nicht genügte, einen Fetzen Bewußtsein und eine Handvoll abendländischer Logik ins Feld zu führen, um sich dem Zugriff des namenlosen Grauens zu versperren und der unwiderstehlichen Lockung jener geheimnisvollen Kultstätte.
    Der Amerikaner erinnerte sich an scheußliche Schilderungen von Reliquien und mörderischer Riten, die von den Albigensern praktiziert worden waren.
    Langsam löste sich Bill Fleming aus seiner Erstarrung. Er schlich auf den Korridor hinaus. An der Treppe blieb er lauschend stehen.
    Dann pirschte er sich die Stufen hinunter. Er gelangte ins Freie.
    Nebelschwaden wogten zwischen tropfnassen Zweigen. Irgendwo schrie klagend der Totenvogel.
    Mit verzerrtem Gesicht machte sich Bill Fleming auf den Weg.
    Nichts und niemand hätte ihn jetzt noch aufhalten können. Es zog ihn mit unheimlicher Macht hinauf zur Basilika.
    Er rannte. Erst die Steigung ließ ihn langsamer werden. Dornsträucher und hüfthohe Farne behinderten ihn. Er lief durch den Bergwald, als ginge es um sein Leben. Nur manchmal, wenn die Ruine aus seinem Blickfeld verschwand, schien er wieder zu zögern, aber nur, um später seinen Weg mit verdoppelter Anstrengung wiederaufzunehmen.
    Bill Fleming schaffte es in Rekordzeit!
    Schlagartig hörte die Vegetation auf!
    Schon der Waldrand vor der eigentlichen Kultstätte sah wild genug aus. Kahle Äste stießen in den Himmel Südfrankreichs wie mahnende Finger. Kein Vogel sang in den toten Zweigen. Es schien, als mieden selbst die Tiere des Waldes die Stätte der Verdammnis.
    Es zeigte sich, daß recht hatte,

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